Die biologische Uhr: Gibt es eine Verjüngungskur für den Körper? Hausarzt Dr. Ulrich Bauhofer im Interview

Junge Frau hält ein zerrissenes Foto einer alten Frau vor ihr Gesicht. Lässt sich das Altern wirklich aufhalten oder sogar zurückdrehen? | © transurfer - stock.adobel.com

Jünger aussehen, fit und gesund bleiben – das Ziel der Verjüngungsforschung ist klar. Doch können wir unseren Körper eigentlich verjüngen? Allgemeinmediziner Dr. Ulrich Bauhofer beschäftigt sich seit über 40 Jahren damit, was uns gesund und fit bis ins hohe Alter macht.

In seinem Buch „aktiv verjüngen“ hat er Erkenntnisse aus Longevity, Genetik und Ayurveda zusammengetragen. Denn er ist überzeugt: Wenn Sie Ihre Gewohnheiten anpassen, können Sie die biologische Uhr zurückdrehen. Wie das funktioniert und welche Grundlagen dahinterstecken, beantwortet er in unserem Interview:

ÄRZTE.DE: Jede(r) von uns möchte lange jung und fit bleiben. Können wir tatsächlich 150 Jahre alt werden?

Dr. Ulrich Bauhofer: Die moderne Longevity Forschung geht davon aus. Die aktuelle Informationstheorie, wie man zurzeit den Alterungsprozess erklärt, postuliert, dass der Alterungsprozess durch den Verlust, die Beschädigung oder die Fehlinterpretation biologischer Informationen in Zellen und Geweben verursacht wird. Altern wird also als ein Problem der Informationsspeicherung und -weitergabe betrachtet. DNA-Schäden, epigenetische Veränderungen und fehlerhafte Signalwege führen dazu, dass Zellen ihre Identität verlieren und biologische Funktionen nachlassen, was schließlich zu Alterungsprozessen und altersbedingten Krankheiten führt. Kann man die körpereigenen Regenerations-Mechanismen aktivieren, wird dadurch eine längere Lebensspanne möglich. In den antiken ayurvedischen Texten gingen die vedischen Ärzte immerhin schon von einer natürlichen Lebensspanne des Menschen von 100 Jahren aus.

Buchcover Aktiv Verjüngen
Buchcover aktiv Verjüngen

 

Die biologische Uhr

ÄRZTE.DE: Wer sich verjüngen möchte, beschäftigt sich vor allem mit der biologischen Uhr. Was ist das genau?

Dr. Ulrich Bauhofer: Die biologische Uhr nach Horvath, auch epigenetische Uhr genannt, ist ein Modell zur Messung des biologischen Alters anhand von DNA-Methylierungsmustern. Entwickelt von Prof. Steve Horvath, einem Biostatistiker und Genetiker, nutzt diese Uhr bestimmte Marker, um das Alter von Zellen und Geweben unabhängig vom chronologischen Alter präzise zu bestimmen. Die Epigenetik müssen Sie sich wie eine Übergenetik vorstellen, also Codes, die über den Geninformationen liegen. Methylierungen sind wie kleine Schalter auf unserer DNA, die Gene an- oder ausschalten können. Stellen Sie sich vor, die DNA ist ein Kochbuch mit vielen Rezepten (Genen). Die Methylierungen sind Notizzettel, die festlegen, welche Rezepte benutzt werden dürfen und welche nicht. So steuern sie, wie unser Körper funktioniert, wachsen kann und älter wird. Diese Muster kann man direkt beeinflussen z.B. durch Ernährung.

ÄRZTE.DE: Wie kann ich mein biologisches Alter bestimmen?

Dr. Ulrich Bauhofer: Der Horvath-Test kann das biologische Alter anhand der DNA-Methylierung in verschiedenen Geweben messen, darunter Blut, Speichel, Haut, Leber und andere Organe. Am häufigsten wird er mit Blut- oder Speichelproben durchgeführt. Sie können sich ein Testkit im Netz bestellen, aber es gibt auch Ärzte, die den Horvath Test durchführen.

ÄRZTE.DE: Warum kann ich die biologische Uhr überhaupt zurückdrehen? Welche Rolle spielen dabei Genforschung und Epigenetik? 

Dr. Ulrich Bauhofer: Wir besitzen keine Alterungsgene, dafür aber Langlebigkeitsgene, die wir an- oder abschalten können. Man kann die biologische Uhr zurückdrehen, weil das biologische Altern nicht nur von den Genen, sondern auch von epigenetischen Faktoren (z. B. Ernährung, Stress, Lebensstil) beeinflusst wird. Epigenetik steuert, welche Gene an- oder ausgeschaltet sind – und das kann durch gezielte Veränderungen, wie gesunde Ernährung, Sport, Schlaf, Meditation oder andere Lifestyle-Modalitäten, gezielt beeinflusst werden. Die Genforschung hilft dabei, diese Prozesse besser zu verstehen und gezielt zu steuern. Man geht heute davon aus, dass die Gene nur bis zu 20 % dafür verantwortlich sind, wie wir altern, der Lebensstil hingegen 80 %. Lifestyle schlägt Gene.

Longevity und Ayurveda

ÄRZTE.DE: Wo sehen Sie dabei Überschneidungspunkte mit Ayurveda?

Dr. Ulrich Bauhofer: Im Ayurveda gibt es seit Jahrtausenden die Rasayana Therapie, die ayurvedische Verjüngungstherapie. Vereinfacht kann man sagen, der Körper hat eingebaute Heil- Regenerations- und Reinigungsmechanismen, die man unterstützen oder stören kann. Ich arbeite jetzt seit über 40 Jahren mit der ganzheitlichen ayurvedischen Medizin und es ist für mich immer wieder faszinierend, wie die westliche Wissenschaft die jahrtausendealten Methoden bestätigt. Nehmen wir die ayurvedische Regel, erst wieder zu essen, wenn die vorangegangene Mahlzeit wirklich verdaut und verstoffwechselt ist. Die Kommunikationswege des Körpers nicht mit - im Ayurveda sagt man AMA, bei uns würde man Stoffwechselstörer, im Volksmund Schlacken, sagen - zu verstopfen, ist ein Herzstück der ayurvedischen Medizin. Seit Ohsumi 2016 den Nobelpreis für seine bahnbrechende Forschung zu Autophagie bekommen hat, schenkt man dem zellulären Reinigungsprozess, bei dem beschädigte und nicht mehr benötigte Zellbestandteile abgebaut und recycelt werden, auch bei uns Aufmerksamkeit. Wie werfen wir diese innere Waschmaschine an? Indem wir nichts essen. Im Ayurveda wird seit jeher geraten, morgens warmes Zitronenwasser zu trinken, statt Eier. Speck und Marmeladenbrot, besonders dann, wenn man abends viel gegessen hat. Natürlich gibt es noch viel mehr ayurvedische Gesundheitsstrategien, man lernt sie in „aktiv Verjüngen“ kennen.

Als ich in den 1980er Jahren als ganz junger Arzt die vedische Medizin kennenlernte, war das für mich ein Gamechanger: Ich war vor allem von den täglichen, kleinen, sehr einfachen Ritualen und Routinen begeistert, die uns Tag für Tag gesund erhalten. Vedische Vaidyas (ayurvedische Ärzte) wurden nur bezahlt, wenn der Patient gesund blieb. Das Hauptaugenmerk liegt also nicht darin, Krankheiten zu heilen, sondern die Gesundheit zu stärken. Heute nennen wir das den Longevity Trend.

Dr. Ulrich Bauhofer

ist Allgemeinmediziner und ayurveda Arzt mit eigener Praxis in München. Außerdem teilt er sein Wissen rund um Medizin und Gesundheit in Vorträgen, Coachings und Büchern.

jung, attraktiv und gesund – ein untrennbares Trio

ÄRZTE.DE: Neben funktionstüchtigen Organen, nennen Sie auch ein makelloses Hautbild, volles Haar und einen starken Muskelapparat als Ziel. Geht es beim Verjüngen ums Aussehen oder um die Gesundheit?

Dr. Ulrich Bauhofer: Schönheit strahlt von innen nach außen. Natürlich ist Gesundheit immer die Grundvoraussetzung für Schönheit. Im Ayurveda nennt man das Ojas, die Lebenskraft, die glückliche unbeschwerte und damit schöne Ausstrahlung schenkt. Attraktiv zu bleiben ist für viele Menschen in unserer Gesellschaft eine starke Triebfeder, aber ein makelloses Hautbild allein macht auch nicht glücklich. Deshalb habe ich in meinem Buch einen ganzen Teil über Glücksschöpfung geschrieben. In der ayurvedischen Rasayana Therapie spielt Lebensfreude und der „Sinn des Lebens“ eine Hauptrolle. Es ist sehr spannend zu entdecken, was die alten Weisen für ein gelingendes Leben hielten.

So können Sie sich „aktiv verjüngen“

ÄRZTE.DE: Welche Bereiche sind für das Verjüngen besonders wichtig?

Dr. Ulrich Bauhofer: Neben Ernährung ist Bewegung natürlich eine tragende Säule, aber auch Stressmanagement und – was man im Westen noch nicht richtig entdeckt hat – Entgiftung. Regelmäßige Entgiftung hilft unserem Organismus, die inneren Heil-, Reinigungs- und Regulationssysteme aktiv zu halten.

ÄRZTE.DE: Einige Tipps wiederholen sich in mehreren Kapiteln Ihres Buches. Was ist hier der gemeinsame Nenner? Welche “Verjüngungs”-Ratschläge sollte wirklich jede(r) befolgen, um möglichst viel für die eigene Gesundheit zu erreichen?

Dr. Ulrich Bauhofer: Was ich von meinen vedischen Lehrern gelernt habe, ist, dass möglichst viele Alltagsgewohnheiten Gesundheitsstrategien sein sollten. Was wir täglich richtig machen, summiert sich, aber auch unsere Gesundheitsräuber potenzieren sich. Man könnte das Buch als Buffet ansehen, als ein Tipp Buffet. Der Leser muss ein großes Angebot an Tricks, Ritualen, Routinen vorfinden und sich dann die aussuchen, die er gut in seinen persönlichen Alltag einpassen kann. Aus vielen kleinen Microsteps, die nach und nach in den Tagesablauf eingefügt werden, ergibt sich dann die große Linie. Longevity entsteht jeden Tag neu. Aus meiner nunmehr 40-jährigen ärztlichen Praxis weiß ich, dass es gar nichts bringt, wenn Sie Ihr Leben von heute auf morgen auf strenge Gesundheits-Maßnahmen umstellen. Das halten Sie nicht durch. Außerdem ist der Ayurveda eine personalisierte Medizin, d. h. nicht für jeden sind alle Tipps gleich gut. Ein zarter, nervöser Typ braucht ganz andere Routinen als eine robuste, widerstandsfähige Konstitution. Tipps wiederholen sich auch deshalb, damit wir uns an sie gewöhnen und uns immer wieder daran erinnern.

ÄRZTE.DE: Im Buch gehen Sie auch auf die Qualität unserer Nahrungsmittel ein. Warum gibt es hier Defizite?

Dr. Ulrich Bauhofer: Moderne Nahrungsmittel legen oft große Strecken zurück und werden lange gelagert, bis Sie auf Ihrem Teller landen. Oder Düngemethoden belasten unsere Lebensmittel, sodass Sie weniger Nährstoffe enthalten. Aber auch unsere Auswahl ist oft nicht gut, wir wählen industriell hergestellte Nahrungsmittel voller Haltbarkeitsmittel, Zusatzstoffen oder künstlichen Aromen.

ÄRZTE.DE: Wie können wir diese ausgleichen?

Dr. Ulrich Bauhofer: Ich empfehle natürlich Bioqualität und regionalen Anbau, aber im Ayurveda gibt es sehr konkrete Tipps, wie Nahrung zubereitet sein muss. Zum Beispiel sollte sie immer frisch, unbehandelt und unbelastet sein. Man soll nichts aufwärmen. Und auch die Stimmung in der man kocht und isst, wirkt sich auf die Verdauung aus. Natürlich gibt es mittlerweile auch viele Nahrungsergänzungsmittel, die Qualitätsschwankungen unserer Nahrung und Auswahl ausgleichen können. Die wichtigsten Longevity-Supplements habe ich genau unter die Lupe genommen. Interessanterweise findet man darunter viele Bestandteile wie sekundäre Pflanzenstoffe, die sich 1:1 in den ayurvedischen Verjüngungstonika und Heilkräutern wiederfinden.

ÄRZTE.DE: Einige Longevity-Anhänger:innen nehmen auch Medikamente ein. Gibt es denn eine Verjüngungspille?

Dr. Ulrich Bauhofer: Ich habe mir für dieses Buch die Verjüngungsmedikamente sehr genau angesehen. Als Ganzheitsmediziner bin ich prinzipiell dagegen, wenn man gesund ist, Medikamente einzunehmen, für die Langzeitstudien fehlen. Natürlich sind die Forschungsergebnisse für verjüngende Präparate ungemein interessant, aber wir wissen einfach nicht, wie sie sich langfristig auswirken.

Wie können Sie Gewohnheiten ändern?

ÄRZTE.DE: Unser Lebensstil steht oft dem Ziel, gesund, fit und attraktiv zu bleiben, im Weg. Wie können wir diesen nachhaltig ändern?

Dr. Ulrich Bauhofer: Genau hier ist der springende Punkt. In meiner nunmehr 40 jährigen Erfahrung als Arzt habe ich vor allem eines gelernt: Wenn Sie Ihr Leben positiv verändern wollen, dann dürfen Sie sich keinesfalls überfordern, denn dann sind die guten Vorsätze sehr schnell zum Scheitern verurteilt.  Ich würde sagen, das Patentrezept ist: Sie müssen Alltagsgewohnheiten, die Sie ohnehin durchführen, in Gesundheits-Strategien umwandeln. Das bedeutet, viele kleine Micro Steps, nacheinander in Ihren Alltag integriert, führen zu langfristigem und nachhaltigem Erfolg. In meinem neuen Buch “aktiv VERJÜNGEN” habe ich neben den Infos über moderne Longevity-Forschung und die ayurvedischen Prinzipien vor allem eines in den Mittelpunkt gestellt: die praktische Umsetzung im Alltag. In übersichtlichen Road Maps habe ich die wichtigsten Tipps zusammengefasst, sodass man sofort loslegen kann. Idealerweise integriert man zunächst einen Micro Step, spürt dann, wie gut es einem tut und macht dann von ganz alleine weiter mit dem nächsten. Und auf diese Weise können wir schrittweise unseren Lebensstil ändern.

ÄRZTE.DE: Das Streben danach, lange gesund und jung zu bleiben, birgt auch eine philosophische Frage: Ist das Leben noch lebenswert, wenn ich meinen gesamten Alltag danach ausrichte und auf viele Dinge verzichte? Welche Antwort haben Sie für sich gefunden?

Dr. Ulrich Bauhofer: Dem philosophischen Aspekt habe ich in meinem Buch einen ganzen Teil gewidmet. In der ältesten Heilkunst der Welt aus der vedischen Hochkultur spielen philosophische Fragen eine große Rolle. Unsere geistig-seelische Verfassung ist genauso wichtig für eine ganzheitlich verstandene Gesundheit wie unsere körperliche. Die Rasayanas beinhalten auch Tipps zu zwischenmenschlichen Verhalten und philosophische Ansätze. Wie schöpfen wir Glück? Was ist ein gelingendes Leben? Sich gesund und leistungsfähig zu halten ist eine Sache, aber freudvoll, unbeschwert und glücklich zu sein, ist ebenso zentral. Viele Menschen - meine Patienten, aber auch Kommentare in den sozialen Medien - fragen mich immer, Sie wollen uns doch alles verbieten, man muss sich doch auch etwas gönnen können. Da stelle ich die Gegenfrage: Was ist eigentlich gönnen? Das schöne Glas Wein am Abend, um runterzukommen, das Ihren Cortisolspiegel erhöht und Ihre Tiefschlafphasen stört. Sie gehen dann am nächsten Morgen gestresster in Ihr Meeting als wenn Sie warmem Zitronenmelissentee trinken, der Ihren GABA Rezeptor stimuliert, der wiederum Ihr Cortisol senken kann? Oder der Schokoriegel, der voller Haltbarkeitsmittel und eine Zuckerbombe ist, der Entzündungen triggert und Ihren Blutzuckerspiegel in den Himmel treibt? Dagegen handgeschöpfter Naturjoghurt mit frischen Beeren und Hanfsamen? Es ist eben alles eine Frage der Gewohnheit. Aber am wichtigsten ist es anzufangen. Dazu würde ich die Menschen gerne inspirieren. Denn bald ist nie.

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