Veröffentlicht: 11.04.2025 | Lesezeit: 5 Minuten

Ein lautes Wortgefecht an der Anmeldung, ein gezielter Tritt im Rettungswagen, eine Drohung am Telefon: Was noch vor einigen Jahren als absolute Ausnahme galt, ist heute für viele medizinische Fachkräfte bittere Realität. Gewalt in Arztpraxen sowie gegenüber Rettungskräften nimmt zu – und stellt nicht nur ein persönliches Risiko für die Betroffenen dar, sondern gefährdet zunehmend die Versorgungsstruktur in Deutschland.
Die Fakten: Gewalt gegen medizinisches Personal auf dem Vormarsch
Aktuelle Erhebungen zeigen einen besorgniserregenden Trend: Mehr als ein Drittel der Rettungskräfte ist in den letzten zwölf Monaten mindestens einmal physisch angegriffen worden, so eine Umfrage der Laut einer Studie der Deutschen Gesellschaft für Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA) aus dem Jahr 2023. Verbale Angriffe sind sogar noch häufiger. Auch Ärzte, Ärztinnen sowie Medizinische Fachangestellte berichten vermehrt von aggressiven Situationen im Praxisalltag.
Die Ursachen sind komplex: Längere Wartezeiten, Personalmangel, die zunehmende Belastung im Gesundheitssystem und gesellschaftliche Spannungen üben Druck auf beide Seiten aus. Patienten und Patientinnen fühlen sich unzureichend wahrgenommen oder versorgt, während das medizinische Personal oft am Limit arbeitet. In diesem Klima eskalieren Konflikte schneller.
Wer betroffen ist: Gewalt kennt keine Grenzen
Die Angriffe richten sich nicht nur gegen Ärzte und Ärztinnen oder Rettungssanitäter:innen. Auch medizinische Fachangestellte, Pflegekräfte und Auszubildende sind zunehmend betroffen. Besonders alarmierend: In ländlichen Regionen, wo medizinische Versorgungsangebote ohnehin begrenzt sind, führen wiederholte Gewaltvorfälle teils zur Schließung von Praxen oder dazu, dass Notärzte und Notärztinnen bestimmte Einsätze nur noch unter Polizeischutz wahrnehmen.
Rechtliche Rahmenbedingungen: Was ist erlaubt, was schützt?
Rechtlich ist Gewalt gegen medizinisches Personal kein Kavaliersdelikt. Seit 2017 ist über den § 115 StGB klar geregelt, dass Angriffe auf Rettungskräfte und medizinisches Personal im Einsatz strafbar sind. Dennoch fühlen sich viele Betroffene nicht ausreichend geschützt. Die Angst vor Racheakten, eine unklare Beweislage oder fehlendes Vertrauen in die Wirksamkeit juristischer Schritte führen oft dazu, dass Anzeigen unterbleiben. Landesärztekammern und Berufsverbände fordern deshalb verstärkt niedrigschwellige Anlaufstellen, die Betroffene unterstützen und Vorfälle systematisch erfassen.
Neue Anlaufstellen: Meldesysteme und Initiativen in mehreren Bundesländern
Um der zunehmenden Gewalt systematisch zu begegnen, wurden in mehreren Bundesländern spezielle Meldestellen eingerichtet, etwa die 2023 gestartete Meldestelle der Landesärztekammer in Hessen. Ärzte, Ärztinnen sowie Mitarbeitende in medizinischen Einrichtungen können dort Fälle von physischer oder verbaler Gewalt dokumentieren – auf Wunsch anonym.
Auch andere Länder ziehen nach: In Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Berlin arbeiten Ärztekammern und Kassenärztliche Vereinigungen bereits an ähnlichen Strukturen oder bieten erste Ansprechpartner:innen für Betroffene. Diese Initiativen sollen nicht nur helfen, das Dunkelfeld aufzuhellen, sondern auch politische Maßnahmen zur Prävention stützen.
Dabei betonen die Initiatoren und Initiatorinnen: Es geht nicht um die strafrechtliche Verfolgung, sondern um Sichtbarkeit, Sensibilisierung und den Schutz derjenigen, die täglich medizinische Versorgung leisten.
Meldestellen für Gewalt gegen medizinisches Personal
Was tun bei Gewalt im Praxis- oder Klinikalltag? In mehreren Bundesländern gibt es inzwischen spezielle Anlaufstellen:
-
Hessen: Meldestelle der Landesärztekammer Hessen
→ Weitere Informationen & Online-Meldung
Die Meldung kann anonym erfolgen. -
Nordrhein-Westfalen: Ansprechpartner bei der Ärztekammer Nordrhein und KVNO.
→ Informationen über die jeweiligen Webseiten abrufbar. - Baden-Württemberg: Meldemöglichkeiten über die Landesärztekammer sowie interne Berichte im Rahmen des Arbeitsschutzes.
- Berlin: Erste Pilotprojekte zur Gewaltprävention in Kliniken; Beratung über die Ärztekammer Berlin möglich.
Tipp: Auch Hausärzte und Hausärztinnen oder Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen, die Gewalt durch Angehörige oder Patienten und Patientinnen erleben, können sich an ihren Berufsverband wenden. Viele Kassenärztliche Vereinigungen bieten ebenfalls Beratungsangebote an.
Prävention: Wie sich Praxen und Rettungsteams schützen können
Um Eskalationen vorzubeugen, braucht es gezielte Strategien. Dazu gehören Schulungen für deeskalierendes Verhalten, klare Notfallpläne und technische Schutzmaßnahmen wie Alarmknöpfe oder Videoüberwachung. In manchen Regionen wurden spezielle Gewaltpräventionsprogramme entwickelt, die in Notaufnahmen oder Arztpraxen eingesetzt werden. Gleichzeitig ist es wichtig, eine offene Kommunikationskultur zu fördern, in der Probleme frühzeitig angesprochen werden dürfen.
Für Rettungskräfte bedeutet das auch: Gefahreneinschätzung bereits vor Ort, enge Zusammenarbeit mit der Polizei und Schulungen in Selbstschutztechniken. Gleichzeitig muss der Schutz durch die Gesellschaft insgesamt gestärkt werden. Wer medizinisches Personal angreift, greift das gesamte Gesundheitssystem an.
Die emotionale Dimension: Wenn Hilfe zur Gefahr wird
Besonders belastend für die Betroffenen ist, dass sie ihren Beruf aus Berufung ausüben – um zu helfen, zu heilen, zu retten. Wird diese Mission durch Aggressionen torpediert, hinterlässt das Spuren: Burnout, Rückzug, der Wunsch, die Branche zu verlassen. Studien zeigen, dass Gewalterfahrungen die Arbeitszufriedenheit massiv beeinträchtigen und zu erhöhter Personalfluktuation führen können.
Was jetzt zählt: Aufmerksamkeit, Aufklärung, Zusammenarbeit
Gewalt im Gesundheitswesen ist kein individuelles Problem, sondern ein gesamtgesellschaftliches. Es braucht Aufklärung in der Öffentlichkeit, rechtliche Sicherheit für Betroffene und institutionelle Unterstützung durch Arbeitgeber:innen, Kassenärztliche Vereinigungen und Berufsverbände. Nur wenn Gewalt nicht verharmlost, sondern offen benannt und konsequent verfolgt wird, kann sich etwas ändern.
Meldestellen wie die der Landesärztekammer Hessen sind ein Anfang. Sie zeigen, wie wichtig systematische Dokumentation, psychologische Unterstützung und politische Aufmerksamkeit sind.
Ein Text von unserer Redakteurin Tamara Todorovic.
Quellen
- Gewalt gegen Ärztinnen, Ärzte und Mitarbeitende: Meldestelle bei der Landesärztekammer Hessen: https://www.laekh.de/heftarchiv/ausgabe/artikel/2023/maerz-2023/gewalt-gegen-aerztinnen-aerzte-und-mitarbeitende-meldestelle-bei-der-landesaerztekammer-hessen, aufgerufen am 08.04.2025
- Gewalt gegen Ärztinnen und Ärzte und andere Gesundheitsberufe konsequent ahnden und gesellschaftlich ächten: https://www.bundesaerztekammer.de/presse/aktuelles/detail/gewalt-gegen-aerztinnen-und-aerzte-und-andere-gesundheitsberufe-konsequent-ahnden-und-gesellschaftlich-aechten, aufgerufen am 08.04.2025
- Gewalt gegen Rettungsdienstmitarbeiter – Eine einsatzbegleitende Analyse in ländlichen und städtischen Rettungsdienstbezirken: https://www.ai-online.info/archiv/2022/10-2022/gewalt-gegen-rettungsdienstmitarbeiter-eine-einsatz-begleitende-analyse-in-laendlichen-und-staedtischen-rettungsdienstbezirken.html, aufgerufen am 08.04.025
- Gewalt gegen Ärztinnen und Ärzte: https://www.aeksh.de/aerztinnen-und-aerzte/gewalt-gegen-aerztinnen-und-aerzte, aufgerufen am 08.04.2025
- Erfahrungen zur Gewalt gegen Rettungskräfte – aus der Sicht des DRK: https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/a-1310-6763, aufgerufen am 08.04.205
- Video: Gewalt gegen Ärztinnen und Ärzte nimmt zu: https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-1430826.html, aufgerufen am 07.04.2025
- Gewalt gegen Mediziner: Ärztekammer fordert besseren Schutz: https://www.tagesschau.de/inland/regional/niedersachsen/ndr-gewalt-gegen-mediziner-aerztekammer-fordert-besseren-schutz-100.html, aufgerufen am 07.04.2025

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