Gewalt in Arztpraxen und gegen den Rettungsdienst: Ein wachsendes Risiko im Gesundheitswesen

Eine wütende ältere Patientin erhebt ihren Stock und bedroht damit eine Krankenschwester in einem Pflegeheim. Eine angespannte Konfliktsituation, die emotionale Not, medizinische Herausforderungen und Schwierigkeiten bei der Pflege widerspiegelt.
Gewalt gegenüber Fachkräften im Gesundheitswesen hat in den letzten Jahren stark zugenommen. | © Studio Romantic - stock.adobe.com

Ein lautes Wortgefecht an der Anmeldung, ein gezielter Tritt im Rettungswagen, eine Drohung am Telefon: Was noch vor einigen Jahren als absolute Ausnahme galt, ist heute für viele medizinische Fachkräfte bittere Realität. Gewalt in Arztpraxen sowie gegenüber Rettungskräften nimmt zu – und stellt nicht nur ein persönliches Risiko für die Betroffenen dar, sondern gefährdet zunehmend die Versorgungsstruktur in Deutschland.

Die Fakten: Gewalt gegen medizinisches Personal auf dem Vormarsch

Aktuelle Erhebungen zeigen einen besorgniserregenden Trend: Mehr als ein Drittel der Rettungskräfte ist in den letzten zwölf Monaten mindestens einmal physisch angegriffen worden, so eine Umfrage der Laut einer Studie der Deutschen Gesellschaft für Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA) aus dem Jahr 2023. Verbale Angriffe sind sogar noch häufiger. Auch Ärzte, Ärztinnen sowie Medizinische Fachangestellte berichten vermehrt von aggressiven Situationen im Praxisalltag.

Die Ursachen sind komplex: Längere Wartezeiten, Personalmangel, die zunehmende Belastung im Gesundheitssystem und gesellschaftliche Spannungen üben Druck auf beide Seiten aus. Patienten und Patientinnen fühlen sich unzureichend wahrgenommen oder versorgt, während das medizinische Personal oft am Limit arbeitet. In diesem Klima eskalieren Konflikte schneller.

Wer betroffen ist: Gewalt kennt keine Grenzen

Die Angriffe richten sich nicht nur gegen Ärzte und Ärztinnen oder Rettungssanitäter:innen. Auch medizinische Fachangestellte, Pflegekräfte und Auszubildende sind zunehmend betroffen. Besonders alarmierend: In ländlichen Regionen, wo medizinische Versorgungsangebote ohnehin begrenzt sind, führen wiederholte Gewaltvorfälle teils zur Schließung von Praxen oder dazu, dass Notärzte und Notärztinnen bestimmte Einsätze nur noch unter Polizeischutz wahrnehmen.

Statistik: Anzahl der polizeilich erfassten Gewalttaten gegen Feuerwehren und sonstige Rettungsdienste in Deutschland von 2018 bis 2023 | Statista

Rechtliche Rahmenbedingungen: Was ist erlaubt, was schützt?

Rechtlich ist Gewalt gegen medizinisches Personal kein Kavaliersdelikt. Seit 2017 ist über den § 115 StGB klar geregelt, dass Angriffe auf Rettungskräfte und medizinisches Personal im Einsatz strafbar sind. Dennoch fühlen sich viele Betroffene nicht ausreichend geschützt. Die Angst vor Racheakten, eine unklare Beweislage oder fehlendes Vertrauen in die Wirksamkeit juristischer Schritte führen oft dazu, dass Anzeigen unterbleiben. Landesärztekammern und Berufsverbände fordern deshalb verstärkt niedrigschwellige Anlaufstellen, die Betroffene unterstützen und Vorfälle systematisch erfassen.

Neue Anlaufstellen: Meldesysteme und Initiativen in mehreren Bundesländern

Um der zunehmenden Gewalt systematisch zu begegnen, wurden in mehreren Bundesländern spezielle Meldestellen eingerichtet, etwa die 2023 gestartete Meldestelle der Landesärztekammer in Hessen. Ärzte, Ärztinnen sowie Mitarbeitende in medizinischen Einrichtungen können dort Fälle von physischer oder verbaler Gewalt dokumentieren – auf Wunsch anonym.

Auch andere Länder ziehen nach: In Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Berlin arbeiten Ärztekammern und Kassenärztliche Vereinigungen bereits an ähnlichen Strukturen oder bieten erste Ansprechpartner:innen für Betroffene. Diese Initiativen sollen nicht nur helfen, das Dunkelfeld aufzuhellen, sondern auch politische Maßnahmen zur Prävention stützen.

Dabei betonen die Initiatoren und Initiatorinnen: Es geht nicht um die strafrechtliche Verfolgung, sondern um Sichtbarkeit, Sensibilisierung und den Schutz derjenigen, die täglich medizinische Versorgung leisten.

Meldestellen für Gewalt gegen medizinisches Personal

Was tun bei Gewalt im Praxis- oder Klinikalltag? In mehreren Bundesländern gibt es inzwischen spezielle Anlaufstellen:

  • Hessen: Meldestelle der Landesärztekammer Hessen
    → Weitere Informationen & Online-Meldung
    Die Meldung kann anonym erfolgen.
  • Nordrhein-Westfalen: Ansprechpartner bei der Ärztekammer Nordrhein und KVNO.
    → Informationen über die jeweiligen Webseiten abrufbar.
  • Baden-Württemberg: Meldemöglichkeiten über die Landesärztekammer sowie interne Berichte im Rahmen des Arbeitsschutzes.
  • Berlin: Erste Pilotprojekte zur Gewaltprävention in Kliniken; Beratung über die Ärztekammer Berlin möglich.

Tipp: Auch Hausärzte und Hausärztinnen oder Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen, die Gewalt durch Angehörige oder Patienten und Patientinnen erleben, können sich an ihren Berufsverband wenden. Viele Kassenärztliche Vereinigungen bieten ebenfalls Beratungsangebote an.

Prävention: Wie sich Praxen und Rettungsteams schützen können

Um Eskalationen vorzubeugen, braucht es gezielte Strategien. Dazu gehören Schulungen für deeskalierendes Verhalten, klare Notfallpläne und technische Schutzmaßnahmen wie Alarmknöpfe oder Videoüberwachung. In manchen Regionen wurden spezielle Gewaltpräventionsprogramme entwickelt, die in Notaufnahmen oder Arztpraxen eingesetzt werden. Gleichzeitig ist es wichtig, eine offene Kommunikationskultur zu fördern, in der Probleme frühzeitig angesprochen werden dürfen.

Für Rettungskräfte bedeutet das auch: Gefahreneinschätzung bereits vor Ort, enge Zusammenarbeit mit der Polizei und Schulungen in Selbstschutztechniken. Gleichzeitig muss der Schutz durch die Gesellschaft insgesamt gestärkt werden. Wer medizinisches Personal angreift, greift das gesamte Gesundheitssystem an.

Die emotionale Dimension: Wenn Hilfe zur Gefahr wird

Besonders belastend für die Betroffenen ist, dass sie ihren Beruf aus Berufung ausüben – um zu helfen, zu heilen, zu retten. Wird diese Mission durch Aggressionen torpediert, hinterlässt das Spuren: Burnout, Rückzug, der Wunsch, die Branche zu verlassen. Studien zeigen, dass Gewalterfahrungen die Arbeitszufriedenheit massiv beeinträchtigen und zu erhöhter Personalfluktuation führen können.

Was jetzt zählt: Aufmerksamkeit, Aufklärung, Zusammenarbeit

Gewalt im Gesundheitswesen ist kein individuelles Problem, sondern ein gesamtgesellschaftliches. Es braucht Aufklärung in der Öffentlichkeit, rechtliche Sicherheit für Betroffene und institutionelle Unterstützung durch Arbeitgeber:innen, Kassenärztliche Vereinigungen und Berufsverbände. Nur wenn Gewalt nicht verharmlost, sondern offen benannt und konsequent verfolgt wird, kann sich etwas ändern.

Meldestellen wie die der Landesärztekammer Hessen sind ein Anfang. Sie zeigen, wie wichtig systematische Dokumentation, psychologische Unterstützung und politische Aufmerksamkeit sind.

Ein Text von unserer Redakteurin Tamara Todorovic.

Quellen

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:
Nahaufnahme eines Fingers, der auf den 24. Mai (Mittwoch) in einem Monatskalender zeigt. Der Kalender enthält mehrere bunte Stecknadeln (rot und blau), die verschiedene Daten markieren. Der Hintergrund ist unscharf.

Veröffentlicht am: 18.04.2025

Urlaubsplanung in der Arztpraxis: So gestalten Sie faire und rechtssichere Regelungen für Ihr Team

Optimieren Sie Ihre Urlaubsplanung in der Arztpraxis – mit fairen Regelungen, rechtlichen Grundlagen und praktischen Tipps für ein starkes und zufriedenes Team.

Operation im Krankenhaus: Zwei Chirurgen in OP-Kleidung führen eine Operation unter hellem OP-Licht durch. Das Bild zeigt sterile Arbeitsbedingungen und moderne Medizintechnik.

Veröffentlicht am: 05.02.2025

Komfortable Arbeitskleidung für Ärzte

Professionelle & bequeme Kleidung ist in einer Arztpraxis essenziell. So wählen Ärzte & medizinisches Personal die ideale Arbeitskleidung für einen hygienischen Praxisalltag.

Eine Frau mit Arztkittel trägt zwei Reisetaschen über eine Wildblumenwiese.

Veröffentlicht am: 22.01.2025

Sabbatical für Ärzte: Geht das auch in der Gesundheitsbranche?

Sie arbeiten in der Gesundheitsbranche und möchten eine längere Auszeit? Lesen Sie mehr zu Sabbatical Vorteilen und Nachteilen sowie Tipps zur Organisation.