Aktualisiert: 09.10.2025 | Lesezeit: 5 Minuten
Medizinisches Cannabis bietet neue Therapieoptionen, von chronischen Schmerzen bis Multiple Multiple Sklerose.
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Die therapeutische Nutzung von Cannabis hat sich in den letzten Jahren zunehmend als ernstzunehmende Option in der modernen Medizin etabliert. Während die Pflanze lange Zeit vor allem mit gesellschaftlichen Debatten über Freizeitkonsum in Verbindung gebracht wurde, steht heute der medizinische Nutzen im Vordergrund.
Ärzte und Ärztinnen erleben eine steigende Zahl von Patienten und Patientinnen, die eine Cannabistherapie in Erwägung zieht - und das oftmals als Ergänzung oder Alternative zu etablierten Medikamenten.
Diese Entwicklung ist das Ergebnis einer fortschreitenden wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Cannabinoiden, einer differenzierteren politischen Bewertung und wachsender klinischer Erfahrung.
Das Thema bleibt komplex, denn die therapeutische Wirksamkeit variiert je nach Indikation, Dosierung, Anwendungsform und individueller Verträglichkeit. Genau diese Komplexität erfordert von medizinischem Fachpersonal eine fundierte Auseinandersetzung und ein hohes Maß an Verantwortung im Verschreibungsprozess.
Klinische Indikationen und wissenschaftliche Evidenz
Medizinisches Cannabis wird in Deutschland insbesondere bei chronischen Schmerzen, Spastiken infolge von Multipler Sklerose oder Appetitlosigkeit bei Krebserkrankungen eingesetzt. Aber auch Epilepsie und bestimmte psychiatrische Erkrankungen wie Tourette-Syndrom können damit behandelt werden.
Entscheidend ist dabei stets die medizinische Indikation, die durch ärztliche Abwägung nach dem Stand der Wissenschaft erfolgt.
Die klinische Evidenz ist in den letzten Jahren deutlich gewachsen. Randomisierte kontrollierte Studien und Metaanalysen zeigen, dass Cannabinoide unter bestimmten Bedingungen eine signifikante Linderung von Schmerzen bewirken können.
Seit Inkrafttreten des „Cannabisgesetzes“ im März 2017 dürfen Ärzte und Ärztinnen Cannabisblüten und -extrakte in Deutschland verschreiben, sofern eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt und keine andere Therapie verfügbar oder zumutbar ist. Die Verordnung erfolgt auf einem Betäubungsmittelrezept, wobei die Präparate über Apotheken abgegeben werden. Der behandelnde Arzt bzw. die behandelnde Ärztin trägt die volle Verantwortung für Indikation, Dosis und Verlaufskontrolle.
Zugelassene Arzneimittel wie Nabiximols (Sativex) und Dronabinol werden nach strengen pharmazeutischen Standards hergestellt. Bei Cannabisblüten ist die Qualitätssicherung ebenso geregelt. Sie müssen den Anforderungen des Deutschen Arzneibuchs entsprechen, insbesondere hinsichtlich Gehalt, Reinheit und mikrobiologischer Sicherheit.
Die Dosierung erfolgt individuell. Eine niedrige Anfangsdosis mit schrittweiser Steigerung gilt als best practice, um unerwünschte Wirkungen zu vermeiden. Übelkeit, Müdigkeit oder kognitive Einschränkungen können auftreten, klingen jedoch häufig nach kurzer Anpassungsphase ab.
Ärztliche Verantwortung und Patientensicherheit
Mit der Zulassung von Cannabisarzneimitteln ist die Verantwortung der Ärzteschaft gewachsen. Sie reicht von der Indikationsstellung über die Dokumentation bis zur Aufklärungspflicht. Ärzte und Ärztinnen müssen sich über mögliche Wechselwirkungen, Kontraindikationen und Dosierungsrichtlinien informieren und Patienten bzw. Patientinnen umfassend beraten.
Zentral bleibt die Aufklärung darüber, dass Cannabis nicht für den Freizeitgebrauch bestimmt ist. Der medizinische Einsatz erfolgt ausschließlich zu therapeutischen Zwecken und auf Grundlage einer ärztlichen Entscheidung.
Für viele Betroffene bedeutet der Zugang zu einer Cannabistherapie eine erhebliche Verbesserung ihrer Lebensqualität. Gleichzeitig ist Transparenz im Behandlungsprozess entscheidend, um unrealistische Erwartungen zu vermeiden. Eine enge ärztliche Begleitung sorgt dafür, dass Therapieziele realistisch formuliert und Nebenwirkungen frühzeitig erkannt werden, schon vor der Ausstellung des Rezepts.
Die Forschung zu Cannabinoiden entwickelt sich dynamisch. Während sich frühe Studien auf THC konzentrierten, rücken zunehmend andere Cannabinoide wie CBD, CBG und THCV in den Fokus. Sie bieten potenziell therapeutische Effekte ohne psychotrope Wirkung, was insbesondere für vulnerable Patientengruppen von Bedeutung ist.
Parallel dazu gewinnen personalisierte Ansätze an Bedeutung. Genetische Disposition, Stoffwechselparameter und psychische Konstitution könnten künftig eine Rolle bei der Wahl des geeigneten Cannabinoidprofils spielen. Erste Projekte zur pharmakogenetischen Anpassung von Cannabinoidtherapien laufen bereits an Universitätskliniken.
Auch die Form der Anwendung entwickelt sich weiter. Neben oralen Tropfen und Kapseln werden inhalative Systeme, transdermale Pflaster und standardisierte Extrakte erprobt. Entscheidend bleibt, dass alle Produkte arzneimittelrechtlich geprüft und apothekenpflichtig sind.
Rechtliche Rahmenbedingungen und Verschreibungsprozesse
Die rechtliche Grundlage für die Verschreibung ist im Betäubungsmittelgesetz und den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) festgelegt. Ärzte und Ärztinnen jeder Fachrichtung, außer Zahn- und Tierärzte bzw. -ärztinnen, dürfen Cannabisarzneimittel verordnen.
Eine Genehmigung der Krankenkasse ist in vielen Fällen erforderlich, insbesondere wenn die Kosten übernommen werden sollen.
Die Abgabe erfolgt ausschließlich über Apotheken, die Cannabisprodukte von zugelassenen Importeuren oder staatlich kontrollierten Produktionsstätten beziehen. Der Bezug ist damit klar geregelt und unterliegt strengen Qualitätsanforderungen. Patienten und Patientinnen benötigen somit eine ärztliche Verschreibung und eine freie oder private Beschaffung ist unzulässig. Dieser geregelte Prozess dient dem Schutz der Patientensicherheit und der Nachverfolgbarkeit der Therapie.
Herausforderungen in der Versorgungspraxis
Trotz der rechtlichen Klarheit bleibt der Alltag für viele Praxen herausfordernd. Die bürokratischen Anforderungen, das Fehlen standardisierter Leitlinien und die teils zurückhaltende Genehmigungspraxis der Krankenkassen erschweren eine flächendeckende Versorgung.
Viele Ärzte und Ärztinnen berichten, dass der Aufwand der Dokumentation und Antragsstellung erheblich ist. Dennoch wächst die Zahl der Verschreibungen kontinuierlich und das ist ein Hinweis darauf, dass die Akzeptanz in der Ärzteschaft steigt.
Fortbildungen und interdisziplinäre Netzwerke spielen eine entscheidende Rolle. Sie helfen, Erfahrungen auszutauschen und Behandlungsstrategien zu standardisieren. Auf diese Weise lässt sich eine evidenzbasierte, sichere und patientenorientierte Cannabistherapie etablieren.
Patientenkommunikation und gesellschaftlicher Wandel
Die Aufklärung von Patienten und Patientinnen bleibt ein zentrales Element jeder Cannabistherapie. Viele verbinden mit der Pflanze Vorurteile oder haben falsche Erwartungen.
Der gesellschaftliche Wandel hat die Akzeptanz von Cannabisarzneimitteln zwar erhöht, doch Missverständnisse bleiben verbreitet. Für Ärztinnen und Ärzte bedeutet das, durch klare Information und Empathie Vertrauen zu schaffen. Die ärztliche Haltung sollte dabei stets von wissenschaftlicher Neutralität und patientenzentrierter Ethik geprägt sein. Es gilt, den therapeutischen Rahmen zu erklären, mögliche Wirkungen realistisch einzuordnen und auf Wechselwirkungen hinzuweisen.
Zwischen Forschung und Versorgung
Mit der fortschreitenden Legalisierungsdebatte in Deutschland wird das Thema medizinisches Cannabis künftig noch stärker differenziert betrachtet werden müssen. Der medizinische Einsatz steht weiterhin klar getrennt vom Freizeitgebrauch.
Für die ärztliche Praxis bedeutet das, Präzision, Nachvollziehbarkeit und wissenschaftliche Orientierung bleiben oberstes Gebot. Nur wenn der medizinische Nutzen belegt, die Risiken bekannt und die Abläufe kontrolliert sind, kann die Cannabistherapie ihren Platz in der modernen Medizin festigen.
Die Zukunft wird davon abhängen, wie konsequent Forschung, Regulierung und Versorgung ineinandergreifen – und wie leicht der Cannabis Zugang für wirklich bedürftige Patienten und Patientinnen gestaltet werden kann.
Weitere Informationen
- Auswirkungen der Cannabinoid-Gabe bei Schmerzen: Eine Metaanalyse und Meta-Regression: https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC6663642/
- Cannabisgesetz (CanG): https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/gesetze-und-verordnungen/detail/cannabisgesetz.html
- Cannabis sativa und ihr Einsatz bei entzündlich rheumatischen Erkrankungen: https://dgrh.de/Start/Publikationen/Empfehlungen/Komplement%C3%A4re-Methoden/Cannabis-sativa-und-ihr-Einsatz-bei-entz%C3%BCndlich-rheumatischen-Erkrankungen.html
- Was Sie über CBD und seine Wirkung wissen müssen: https://www.aerzte.de/gesundheitsratgeber/was-sie-ueber-cbd-und-seine-wirkung-wissen-muessen
- Medizinisches CBD auf Rezept: Wann es sinnvoll ist und wie man es bekommt: https://www.aerzte.de/gesundheitsratgeber/medizinisches-cbd-rezept-wann-sinnvoll
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