Longevity: Ist personalisierte Präventivmedizin die Zukunft? Wissenschaftsjournalistin Nina Ruge im Interview

Eine Frau macht Sport im freien und schaut dabei auf ihre Smartwatch. Smarte Wearables liefern viele Daten für die individuelle Präventivmedizin. | © Jacob Lund - stock.adobe.com

Wer nach Longevity-Tipps sucht, stößt schnell auf zahlreiche Empfehlungen, Meinungen und Produkte. Dabei versteckt sich hinter dem Trend eine wichtige gesundheitliche Entwicklung. Präventivmedizin könnte Ihnen nicht nur ein längeres, gesundes Leben ermöglichen, sondern auch ein großes Problem des aktuellen Gesundheitssystems lösen.

Wie das genau funktioniert und was Sie schon heute dafür tun können, beantwortet Nina Ruge in Ihrem Buch „Ab morgen jünger” aus dem Heyne Verlag. Im Interview gibt sie einen kurzen Einblick in die personalisierte Präventivmedizin, den Stand der Forschung und wie Longevity in Zukunft aussehen könnte. 

ÄRZTE.DE: Sie sind Unterstützerin der Longevity-Forschung, sagen aber auch ganz klar: Viele Versprechungen, die gemacht werden, sind so nicht haltbar. Was kann Longevity denn heute schon leisten?

Nina Ruge: Die evidenzbasierte molekularbiologische Forschung und Entwicklung beginnt sich gerade vom Terminus „Healthy Longevity“ zu verabschieden – weil mehr und mehr unseriöse Anbieter unter diesem Label segeln. Weniger eingängig, aber treffender: „Personalized Preventive Medicine“. Was kann „PPM“ heute schon leisten? Vor allem eine breite Diagnostik, die früh im Leben ansetzt. Das Ziel: „Healthspan Extension“, die gesunde Lebenszeit deutlich zu verlängern. Durchschnittlich 11 Jahre müssen die Menschen in Deutschland am Ende ihres Lebens in schwerer Krankheit verbringen. Diese Spanne muss deutlich verkürzt werden.

ÄRZTE.DE: Wie können unsere Leser:innen einschätzen, ob eine Empfehlung wirklich nützlich ist oder ob hier nur falsche Versprechungen gemacht werden?

Nina Ruge: Leider gibt es – besonders hierzulande – keine Leitlinien oder Zertifizierungen. Weder in Therapie, noch in Medikation oder Ausbildung. In anderen Ländern ist man da weiter: Die Vereinigten Arabischen Emirate haben die ersten medizinischen Leitlinien für Prävention über die gesamte Lebensspanne realisiert, auch Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten sind in der Entwicklung. Die Gesundheitsministerien in weiteren Golfstaaten, in Singapur, Japan und China, sind ebenfalls sehr aktiv bezüglich preventive-care-Programmen oder auch „Healthy Longevity“. Ich bin gespannt auf den – wie es heißt – „Longevity-Enthusiasten“ als neuen Gesundheitsminister in den USA.

Buchcover Ab morgen jünger
Buchcover Ab morgen jünger Heyne Verlag

 

ÄRZTE.DE: Laut Umfragen streben viele Menschen danach „gesunde 90 Jahre alt” zu werden. Welche Grundlagen braucht es dafür?

Nina Ruge: Zur Optimierung der wesentlichen Lebensstilfaktoren, wie Ernährung, Bewegung, Schlaf, mentale Resilienz, Hitze/Kälte, Atmung, wissen wir heute sehr vieles mit Blick auf die zellbiologischen Effekte der „Healthspan-Extension“. Um personalisierte Empfehlungen geben zu können, braucht es breite Diagnostik, auch per ausgewählten Wearables und neuen Biomarkermessungen – aber auch per umfangreichen Blutparameter. Digitalisierung der Daten und AI-basierte Auswertung auf spezifizierten Plattformen werden es möglich machen, uns über einen persönlichen digitalen Zwillinge zielgenau beraten zu lassen. Hier wird deutlich: Medizin und Preventive Care stehen nicht im Widerspruch. Im Gegenteil: Sie haben enorme Schnittmengen.

ÄRZTE.DE: Was tun Sie, damit Sie länger und gesünder leben?

Nina Ruge: Jede Menge Diagnostik – schulmedizinische Diagnostik XXL, neueste Biomarkermessung (wie liquid biopsy, Gentest, Mikrobiomtest etc.) plus Wearabledaten – dazu täglich Ausdauersport, möglichst drei Mal pro Woche Kraftsport. Ich ernähre mich gemüsebasiert, ballaststoffreich ohne kurzkettige Kohlenhydrate. Außerdem nutze ich seit knapp 20 Jahren die Hormonersatztherapie, nehme noch nicht validierte „repursed drugs“ wie niedrigdosiertes Metformin, einige Nahrungsergänzung der alten (Vitamin D+Omega3, Selen, Zink, B-Komplex, Kreatin, Taurin) und der neuen Generation (NR, AKG, Urolithin A, Spermidin). Mit dem Eisbaden habe ich es noch nicht so, da muss erstmal die kalte Dusche reichen. Beim Erhalt meiner mentalen Gesundheit unterstützt mich mein Hund…

Nina Ruge

ist Unicef Botschafterin und Moderatorin im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. In verschiedenen Talkformaten spricht sie vor allem mit Politikern bzw. Politikerinnen und Wissenschaftlern bzw. Wissenschaftlerinnen zu vielfältigen Themenbereichen. Darüber hinaus bietet sie eigene Online-Coachings an, ist als Speakerin tätig und hat bereits zahlreiche Bücher geschrieben.

ÄRZTE.DE: Was ist für Sie der aktuell vielversprechendste Forschungsbereich zu Longevity?

Nina Ruge: Die Biomarker-Forschung plus Auswertung in digitaler Form, AI-basierte drug-discovery, vor allem small molecules – aber auch epigenetische Reprogrammierung zur Gewebeverjüngung – und vieles anderes mehr. Etliches an Zukunftstherapien stelle ich in meinem aktuellen Buch vor.

ÄRZTE.DE: Eine Garantie für ein langes Leben gibt es nicht. Dennoch gibt es Beispiele von Menschen, die alle Lebensbereiche nach einem gesunden und langen Leben ausgerichtet haben. Wie viel Aufwand und wie viele Einschränkungen sollten wir Ihrer Meinung nach für Longevity in Kauf nehmen?

Nina Ruge: „Einschränkung“ – wegen Zuckerverzichts? Oder wegen täglichem Sportprogramm? Oder weil ich mein wearable regelmäßig aufladen muss? Wer sich um Schlafqualität kümmert, vielleicht auch mit Hilfe von Melatonin, Magnesium – hat der mit Einschränkung zu kämpfen? Sicher: Wer Biohacker wie Brian Johnson zum Vorbild nimmt, muss ein an Masochismus grenzendes Programm akzeptieren. Aber muss man das? Johnson sieht sich als wandelndes Experimentierfeld, außerdem nutzt ihm sein Hacker-Image hervorragend für’s Marketing seiner Blueprint-Produkte.

ÄRZTE.DE: Durch die steigende Lebenserwartung und damit immer mehr altersbedingte Erkrankungen nimmt die Belastung auf Gesundheitssystem und Pflege immer weiter zu. Könnte Longevity hier eine Lösung sein?

Nina Ruge: Im Sinne von Preventive Personalized Medicine MUSS Longevity eine Lösung sein. Wer unter den Volkswirtschaftlern bis drei zählen kann, sieht angesichts der explodierenden Kosten im Gesundheitswesen und des demografischen Schwundes der Beitragszahler keine Alternative.

ÄRZTE.DE: Vor allem reiche Menschen wie Amazon Gründer Jeff Bezos oder Google Gründer Larry Page investieren in die Longevity. Das kann eine Chance, aber auch eine Gefahr sein. Wie ordnen Sie diese Entwicklung ein?

Nina Ruge: Großartig! Investments in Biotech à la „Healthy Longevity”-Startups sind Hochrisiko-Investments. 90 % der Startups schaffen es nicht. Kaum jemand wagt es derzeit, hier groß einzusteigen. Nur die Tech-Billionairs.

ÄRZTE.DE: Wo sehen Sie Longevity in 10 Jahren? Wie wird sich das Streben nach einem langen gesunden Leben entwickeln?

Nina Ruge: Wahrscheinlich werden sich die beiden aktuellen Strömungen verstärken: Die eine, sciencebased und evidenzbasiert, wird in Form von breiten, bezahlbaren Angeboten für die gesamte Bevölkerung gesundheitliche Prävention – auch selbstverantwortlich – stärken und finanzieren. Die andere wird angesichts der faszinierenden Forschungsergebnisse in der Zellbiologie des Alterns und Rejuvenation weiterhin exorbitant teure Longevity-Therapien anbieten, mit Angeboten, die zwar heiß diskutiert sind, aber noch längst nicht die vorgeschriebenen Testverfahren für Medizinprodukte durchlaufen haben.

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