Hochsensibel: Modetrend oder wichtiges Persönlichkeitsmerkmal?

Eine Frau hält sich den Kopf in den Händen und wirkt gestresst. Hinter ihr sind viele chaotische Kritzeleien, wie Glühbirnen, Ausrufezeichen und Fragezeichen, gezeichnet, die ihren unruhigen Geisteszustand symbolisieren. Sie trägt ein blaues Oberteil. Eine Frau hält sich den Kopf in den Händen und wirkt gestresst. Hinter ihr sind viele chaotische Kritzeleien, wie Glühbirnen, Ausrufezeichen und Fragezeichen, gezeichnet, die ihren unruhigen Geisteszustand symbolisieren. Sie trägt ein blaues Oberteil.

Sie sind früher überfordert als andere, brauchen öfter mal Zeit ganz für sich und fühlen sehr viel mehr Stress. Wir alle kennen Menschen, die einfach ein bisschen empfindlicher sind. Aber sind sie deswegen gleich etwas Besonderes?

Einige Psychologen sagen ja. Sie sprechen in diesem Zusammenhang von hochsensibel oder Hypersensibilität und nennen es im Fachjargon höhere sensorische Verarbeitungssensitivität. Die Ursache dafür soll in der DNA verankert sein. Dabei gilt hochsensibel als ein verbreitetes Persönlichkeitsmerkmal, und nicht etwa als Krankheit. Immer mehr Erwachsene und Kinder entdecken es an sich.

Aber gibt es hochsensibel wirklich oder ist das nur ein Trend?

Der Begriff Hochsensibel ist relativ neu

Bis 1996 sprachen Experten in der Persönlichkeitsforschung ausschließlich von Neurotizismus, wenn Menschen besonders sensibel und empfindlich reagieren. Als Teil der Big Five Persönlichkeitsfaktoren kann jeder diesem Wesenszug klar zu geordnet werden – oder eben nicht. Die Methode ist weithin wissenschaftlich anerkannt. Hochsensible liegen irgendwo zwischen den fünf Persönlichkeitstypen. Sie zeigen verschiedene Merkmale des Neurotizismus, aber auch Eigenschaften, die nicht damit verbunden werden. Zumindest sieht das die Amerikanerin Elaine Aaron so, die diesen Begriff eingeführt hat.

Gemeinsam mit Ihrem Mann forscht sie intensiv auf dem Gebiet. Die beiden haben auch den Selbsttest entwickelt, den jeder im Internet machen kann. Fragen wie „Sind Sie schnell von hellen Lichtern oder starken Gerüchen überwältigt?“, „Reagieren Sie sehr sensibel auf Schmerzen?“ oder „Beeinflusst Sie die Stimmung Ihrer Mitmenschen?“, sollen relativ klar beantworten, ob Sie zu den hochsensiblen Menschen gehören. Nach wenigen Minuten steht das Ergebnis fest. Etwa 20 % der Bevölkerung sollen sich nach Umfragen zu der Gruppe zählen.

Hochsensibel sieht bei jedem ein bisschen anders aus

Was Hochsensibilität genau ist, lässt sich allerdings nur schwer definieren. Schon Kinder sollen die typischen Merkmale zeigen, die Elaine Aaron festgestellt hat. Sie nehmen die Außenwelt, wie Geräusche oder Gerüche, sehr genau wahr. Stimmungen von Mitmenschen beeinflussen Hochsensible ebenso wie innere Zustände etwa Hunger und Schmerz. Das soll vor allem daran liegen, dass sie Sinneseindrücke sehr intensiv verarbeiten.

Genauere Beschreibungen liefern Hochsensible selbst. Sie fühlen sich in Gesellschaft oft überfordert, brauchen viel Zeit alleine, um ihre Eindrücke sacken zu lassen. Oft bezeichnen sie sich als Außenseiter. Auf neue Situationen müssen sie sich erst einstellen. Dabei muss nicht jede Sinnesinformation zur Überforderung beitragen. Der eine reagiert beispielsweise auf laute Geräusche besonders stark, der andere kommt eher durch sehr viel Mitgefühl für seine Mitmenschen an seine Grenzen.

Oft werden Hochsensible auch als besonders kreativ und empfindsam für die schönen Dinge in unserer Welt beschrieben. Hochbegabt, wie so mancher behauptet, sind sie allerdings nicht häufiger als andere.

Die Forschung zu Hochsensibel steht noch am Anfang

Obwohl sehr viel über das Persönlichkeitsmerkmal Hochsensibel gesprochen wird, ist die Forschungslage noch dünn. Elaine Aaron geht davon aus, dass die Sinneseindrücke vom Gehirn anders verarbeitet werden. Ihr Filter, der uns sonst hilft, wichtige von unwichtigen Informationen zu trennen, ist sehr viel dünner. Deshalb brauchen Hochsensible schneller eine Pause oder sind überlastet. Einige Studien bestätigen diese Theorie. Psychologen üben aber auch viel Kritik an den Messmethoden und der Ausgangslage. Viele glauben gar, es wird nur nach einem neuen Label gesucht, um mit den Veränderungen in der Gesellschaft zurechtzukommen.

Fest steht jedoch: Viele Menschen fühlen sich mit der Erklärung „Ich bin hochsensibel“ verstanden. Sie erkennen diese als eine Beschreibung ihrer Persönlichkeit. Das Gemeinschaftsgefühl hilft ihnen außerdem, schwierige Situationen im Alltag besser zu meistern. Zudem finden sie gerade online und in Selbsthilfegruppen viel Unterstützung. Verbreitete Tipps sind etwa:

  • Gönnen Sie sich ausreichend Pausen und Ruhe
  • Hören Sie auf Ihren Körper
  • Bauen Sie Stress möglichst schnell wieder ab
  • Nehmen Sie Rücksicht auf die Besonderheiten Ihrer Persönlichkeit und planen Sie im Alltag mit ein (Einzelbüro, Stille genießen, Partys früher verlassen, etc.)

Von solchen Ratschlägen kann vermutlich jeder profitieren. Einige Experten warnen allerdings davor, sich zu sehr zu schonen. Stattdessen empfehlen sie eine Art Konfrontationstherapie, mit der sich Hochsensible Stück für Stück an unangenehme Situationen gewöhnen. Doch gleich, welchen Weg Sie wählen: Eine Therapie benötigen Hochsensible nicht. Sie müssen vielmehr wie wir alle lernen, die Besonderheiten ihrer Persönlichkeit mit Alltag und Gesellschaft in Einklang zu bringen.

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