Dr. med. Dieter Jung

Dr. med. Dieter Jung

Facharzt für Allgemeinmedizin

In der Praxis von Dr. Dieter Jung stehen Ihnen viele verschiedene Therapiemöglichkeiten offen: Vom Autogenen Training über Naturheilkunde und Homöopathie bis hin zur Sucht-Therapie.

Viele Patienten erhoffen sich eine Linderung durch medizinisches Cannabis (c) Atomazul / Fotolia

Zur Situation der Cannabis-Therapie 2017: „Erlaubt – verboten – erlaubt“

Eine Einschätzung von Dr. Dieter Jung, Allgemeinmediziner:

„Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister,
Werd ich nun nicht los.“

Goethe, Zauberlehrling

 St. Peppers Lonely Hearts Club Band:  Das kunstvolle Plattencover des ersten Studio-Albums zeigt 70 Leute, die den Zeitgeist repräsentieren sollen, und ganz viele Blumen: Flower-Power und ein tragbares Fernsehgerät und ein Haschischblatt nebst Wasserpfeife zum Kiffen.

Heute genau vor 50 Jahren kam diese wegweisende LP auf den Markt und ein Blick auf die dort abgebildeten Menschen weist hin auf diesen „Psychedelic Way of Life“, also die Aufhebung der Grenzen zwischen Selbst und Außenwelt (psyche-delic: griechisch δῆλος dẽlos offenkundig) und in dieser Pop-Art Collage finden sich all die Denker, die unser Bewusstsein in dieser Richtung erweitert haben, u. a. Carl-Gustav Jung, Lewis Caroll, Bob Dylan, Aldous Huxley, Oscar Wilde, um nur ein paar zu nennen.

Wie kam es zum Cannabis Verbot

Jedem ist der Begriff der „68er“ klar und Cannabis war die Zeitgeistdroge, sozusagen die inhalierbare Flower-Power. Und völlig legal zu konsumieren! Als aber die Studenten dann die Professoren aus der Uni werfen wollten, kam die geballte und letztendlich erfolgreiche Gegenaktion in Gange. Ich weiß noch heute, wie wir das hölzerne Eingangsportal der Universität Heidelberg von der alten Brücke in den Neckar warfen (die zwei Polizisten in Heidelberg schauten staunend zu), während der Anatomieprofessor F. mit durchgeladenem Jagdgewehr sein Revier verteidigte, über das mit dicken Lettern geschrieben stand HIC GAUDET MORS SUCCURRERE VITAE – hier freut sich der Tod dem Leben zu helfen; und der Neurologieprofessor G. einfach seinen Hörsaal zumauern ließ, während drinnen die Studenten tobten und ihn anbrüllten: „Sie fahren einen dicken Mercedes!“ Worauf der 200-kg-Mann mit verschmitzten Äuglein konterte: „Sie täuschen sich, Herr Kollege, ich fahre einen Jaguar!“

So reagierte jeder auf seine Weise, aber am schärfsten das Bayerische Staatsministerium, das in vereinfachter Denkweise im Haschisch die Ursache der 68er-Revolution sah. Es erfolgte deswegen ein Verbot 1972, begründet damit, dass dieser Stoff die Massen zu aggressiven Umstürzlern mache und nicht etwas aus medizinischer Hinsicht gefährlich sei.  Denn was die Morbidität oder Mortalität angeht, liegt Tabak und Alkohol weit vorn. Herointote gibt es dagegen in verschwindender Zahl, aber wir kennen keinen einzigen Cannabistoten.

Welche Gefahren gehen von Cannabis aus

Wenn wir eine Ampel bauen mit den Feldern Lebensgefahr, Gesundheitsgefahr, Entzugsgefahr, so hat Alkohol rot für akute Lebensgefahr, rot für gesicherte gesundheitliche Schäden und rot für Entzugs-Gefahr. Bei Tabak sieht es so aus: gelb für Lebensgefahr, rot für langfristig gesundheitliche Schäden und grün für Entzugsgefahr. Bei Cannabis zeigt sie grün für akute Lebensgefahr, gelb für mögliche langfristige Schädigung des Hirns von jungen Menschen und grün, also völlig ungefährlich für Entzug. Für eine medizinische Verbotsindikation reichte das nicht.

Also wurde der Schuss von hinten herum in die Brust abgefeuert. Da man für den Cannabiskonsumenten keinen Haftbefehl durchsetzten konnte, dehnte man die viel schlimmere Strafe des Führerscheinentzugs einfach aus: nicht wie bei Alkohol, wo nur das Fahren im fahruntüchtigen Zustand bestraft wurde, was ja auch bei Cannabis völlig korrekt gereicht hätte. Stattdessen reichte es schon, wenn diese Substanz gefunden wurde, in Wohnung oder Blut (was ja 6 Wochen nach Konsum noch der Fall ist, wenn auch ohne jegliche reaktive Beeinträchtigung). Dann war eine MPU fällig und bis zur abgeschossenen Prüfung, also mindestens anderthalb Jahre, erlischt die Fahrlizenz. 

Wie ist die momentane Situation des Arztes 2017

Der Umgang mit allen Betäubungsmitteln, und dazu zählt jetzt Cannabis, wird im BtM-Gesetz festgelegt und von der BfArM:  Bundesstelle für Arzneimittel und Medizinprodukte überwacht. In dieser Farm, der BfArM, gibt es eine Unterstelle, die sich Bundesopiumstelle nennt. Und seit 2007 gibt es nach §3 Abs.2 BtMG die Möglichkeit der Antragstellung einer Ausnahmegenehmigung auf Cannabisgebrauch aus medizinischer Indikation und dies nutzten bundesweit ca. 1000 Patienten.

Zuvor hatten diese Haschischraucher aus „medizinischer Indikation“ ein offizielles Schreiben der Bundesopiumstelle, dass sie Cannabis unter Kontrolle des zu benennenden Arztes nehmen dürfen, aber selber kaufen müssen.  Erst seit März 2017 wurde mit heißer Nadel ein Gesetz gestrickt, dass allen Ärzten erlaubt Cannabis auf Rezept und zu Lasten der Krankenkasse zu verordnen. Mit diesem Gesetz hat die Bundesopiumstelle sich blitzschnell aus dem Schussfeld gezogen und die bisherigen Genehmigungen schriftlich in einem Brief an alle Konsumenten widerrufen.  

Fassen wir zusammen. Von 1972 – 2006 galt das Cannabis-Verbot, von 2007 bis Februar 2017 galt: Cannabistherapie mit Erlaubnis der Bundesopiumstelle möglich und ab 1.3.2017 gilt: Die Krankenkassen sollen die Kostenübernahme bei Fällen von schwerwiegenden Krankheiten nur noch in Ausnahmefällen ablehnen dürfen und Ärzte können Cannabis auch verschreiben, ohne dass die Betroffenen vorher alle denkbaren Medikamente ausprobiert haben müssen.

Cannabis Therapie verursacht hohe Kosten

Zunächst ist das eine große Erleichterung. Ganz hoch anzusiedeln ist die ärztliche Freiheit Cannabis verschreiben zu dürfen, ohne Anträge, wenn eine auch nur entfernte Aussicht besteht, dass dieser Stoff einen günstigen Einfluss auf das Krankheitsgeschehen hat. Nur tauchen gleich zwei Bocksfüße unter dem schönen weißen Halbgottkittel auf:

  1. Verschreibe ich es privat, kostet es mit 2500 Euro Monatskosten dem Patienten mehr als doppelt so viel wie der Schwarzmarktpreis und

  2. bekomme ich die Kassengenehmigung (ein bislang völlig willkürlicher Vorgang) fliegt gleichzeitig der Bumerang der Budgetüberschreitung auf den Arzt zu. War bislang die Hepatitis C Therapie die Spitze des Kostenberges, so wird das jetzt von der THC Therapie abgelöst. Und während bei der Hepatitis C Therapie ein Ende abzusehen ist und die Ausgliederung aus dem Prüfbudget zugesichert wurde, ist das bei Cannabis noch lange nicht sicher. Auf Anfrage, ob es ins persönlich zu verantwortende Budget des einzelnen Arztes einginge, sagte die AOK, müsste nach den ersten Musterprozessen geklärt werden und das sei nicht vor drei Jahren möglich.

Rückwirkende Kostenforderungen sind dann in Halb-Millionen-Höhe zu erwarten, denn auch in der erfolgten Genehmigung der Kasse steht der Satz: „Trotz kassengenehmigter Gabe ist der Arzt immer zur kostengünstigsten Therapievariante verpflichtet“. Da baumelt ein ganz scharfes Damoklesschwert über den Verordnern und die meisten Ärzte werden THC-Rezepte scheuen wie der Teufel das Weihwasser.

Wo Cannabis hilft

Die fünf häufigsten Diagnosen, bei denen Cannabis in Deutschland zum medizinischen Einsatz kommt, sind chronische Schmerzen, Multiple Sklerose, ADHS, Tourette-Syndrom und depressive Störungen. Ausnahmegenehmigungen wurden bislang für 62 Diagnosen gestellt.

Um die Spannweite dieses Ausnahme-Genehmigungs-Fächers zu zeigen, schlagen wir doch mal den Buchstaben H auf und staunen: Genehmigte Diagnosen: HIV-Infektion, HWS- und LWS-Syndrom, Hyperhidrosis. Na, wer da nicht ins Schwitzen kommt...

Welche Patienten kommen denn jetzt auf uns zu?

  • Die, die wir bislang schon behandelt haben und die eine von der Bundesopiumstelle genehmigte Gebrauchsbescheinigung haben
  • die Patienten, bei denen wir eine Indikation sehen, z.B. Multiple Sklerose, Spastische Schmerzsyndrome, AIDS, finale Schmerzen, etc.
  • Patienten, die seit Langem mit Cannabis illegal Besserung von ihren Krankheitssymptomen haben und jetzt aus der illegalen Szene rauswollen
  • Patienten, die schon lange Cannabis wie Alkohol und Nikotin als ihre Entspannungsdroge nutzen (alte 68er) und jetzt aus der illegalen Szene rauswollen
  • Menschen, die eine neue psychedelische Droge kennenlernen wollen.

Bei 1 und 2 ist die Notwendigkeit weiterer Verordnung klar, bei 3 besteht eine Grauzone und bei 4 und 5 ist der Wunsch nach Eigennutzung sicher noch keine Krankheitsbehandlung. Aber müssen wir die Gefährdung dieser Menschen durch den schwarzen Markt nicht auch als ein therapeutisches Ziel ansehen?

Damit sind wir beim Motto, mit dem ich begonnen habe.

„Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister,
Werd ich nun nicht los.“

Goethe, Zauberlehrling

Wie sieht die Situation für Ärzte aus, die Cannabis verschreiben?

 Bleibt die schlussendlich wichtigste Frage, falls ich es wage, wie soll ich es machen. Einige Punkte sollte man dabei beachten:

  1. Substanz: Cannabis flos unzerkleinert
  2. Menge:
    1. Tagesmenge ad personam festlegen, im Regelfall 4x0,5 g
    2. Monatshöchstmenge = max. Rezeptmenge pro Einzelrezeptur: geringer und auch für
      weniger Tage immer möglich, aber die MHM darf nicht überschritten werden und beträgt genau 100 g. 100 g kosten im Apothekerverkaufspreis 2500 Euro = 30.000 pro Jahr
  1. Applikation: zur inhalativen Anwendung mit Inhalationsgerät, genannt Vaporizator. Das ist eine Verdampfungsplatte ähnlich der e-Zigarette, denn wir wollen ja nicht als Ärzte noch zur Tüte raten. Ein Vaporisator kostet 250 Euro und müsste, wenn die Kasse schon die inhalative Therapie genehmigt, auch über die Kasse gehen.
  2. Sorte: Das ist Neuland für fast alle Nicht-User.
    1. THC wirkt (anders als Alkohol oder Benzodiazepine) beim ersten Mal trotz voller Dröhnung nur sehr wenig, dann etwas und nach drei Wochen regelmäßigem Gebrauch erst richtig, dem Mediziner springt der Vergleich mit Antidepressiva an, die eine ähnliche Wirkkurve haben.
    2. Die Pflanzen unterscheiden sich, es gibt nördliche Sorten, die in der Kälte und hier in Baden-Württemberg gut wachsen aber kaum Wirkstoffe haben. Sie gehen in Richtung psychedelischer Effekte, schlagen aber beim Drogen-Schnell-Test (Stirnschweiss-Abstrichtest der der Polizei) voll an! Und Sorten, die mehr beruhigen, und Sorten die mehr Analgesie bringen und Sorten, die mehr Dreamland & Co erzeugen.

Hier ist viel Fortbildung nötig, und wenn auch noch die Sorten gemischt werden, dann ist einfache Klarheit nicht mehr zu bringen. Man muss sich „auf den Gefühlsbericht“ der Patienten, die man zurzeit hat, verlassen. Nur wo bekommen wir glaubhafte und verlässliche Informationen her?

Allein schon die Namen der Substanzen könnten einen psychedelischen Wirbelwind auslösen: Houndstone, Argyle, Penelope, Princton, Bedrolite, Bedrocan...  

Eine Einfachregel ist zur jeweiligen Substanz die Wippe THC versus CBN zu beachten. Je mehr THC im benannten Produkt ist, desto mehr High erlebt der Patient (merke H) und je mehr CBN desto mehr (merke C) Reduktion des chronischen Schmerzes.

Neuland und keine Lösung

Dazu kommen Probleme wegen unklaren Mischpräparate von nicht seriösen Firmen.  Dazu kommt, was immer man aufschreibt, meist sagt der Apotheker, zurzeit ist nur a oder b lieferbar, sollen wir da switchen oder canceln? 

Erfahrene User (Bundesopiumstellengenehmigte) sagen mir: „Probieren. Abwarten. Beurteilen. Hoffen, dass man denselben Stoff wiederbekommt, nicht nur denselben Namen“. Deswegen ist die inhalative Applikation so wichtig, das bedeutet nämlich Beobachten, während man den Konsum bewusst steuern kann. Während die geschluckten THC Öle, Tropfen, Kuchen und Kekse erst Stunden später wirken, und dann die Menge nicht mehr nachreguliert werden kann.

Fazit von Dr. Dieter Jung

Fazit 1:  Wir wollen den Patienten mit chronischen Schmerzen, mit Spastik bei MS, mit Appetitlosigkeit bei Karzinomen und mit Verhaltensstörungen bei ADHS helfen. Vielleicht ist dies mit Cannabis möglich, und es sollte dann eine Neueinstellung versucht werden.

Fazit 2: Wir können nicht die Patienten, die über die Bundesopiumstelle genehmigt seit Jahren aus der Apotheke ihr Cannabis bezogen haben, ruckartig auf null setzen, und auch nicht unseren alten Antrag konterkarieren, indem wir ihn für falsch erklären. Es bleibt allerdings zu überlegen, ob wir einen Antrag auf Kassenübernahme wagen oder ob wir nur weiterhin ein privates Rezept ausstellen. Allerdings wird hier der Patient sehr fordernd, weiß er doch genau um die Möglichkeit eines Kassenrezeptes.

Fazit 3: Die größten Schwierigkeiten werden die Langzeit-User machen, die schon immer ihr Cannabis vom Schwarzmarkt holten, jetzt aber wünschen, dass es der Doktor aufschreibe. Werden wir hier klar Nein sagen können, oder ist nicht auch ein Auftrag im Sinne einer Schadensminimierung, wenn wir die Leute aus der definitiv bleibend kriminellen Szene herausholen und mit dem legal verschriebenen Cannabis auch ein freieres Leben möglich machen, ohne Angst vor Strafverfolgung. Fragen Sie doch den User, wie er früher sein Cannabis besorgt hatte. Immer mit Herzklopfen, immer mit der Gefahr gestrecktes Zeug zu kaufen oder über mit Heroin vermischtem Stoff langsam in andere Süchte eingeführt zu werden, und immer wieder der plötzliche Verlust der „Quelle“ und die Angst selber dabei verhaftet zu werden.

Fazit 4: Wir betreten Neuland, wir brauchen Erfahrungsaustausch und wir müssen besser lernen, wie die Regel „nil nocere“ einzuhalten ist, also weder die nicht konsumierende Jugend verführen noch den Kranken die Hilfe verweigern, noch uns in Schuld oder Schulden bringen. Ein schwieriger Weg, der jetzt gegenseitiger Kurskorrekturen bedarf. Jeder, der hilft, ist willkommen. Beachten Sie, dass der gegenwärtige Stand meiner Kenntnis (17.6.17) schon morgen von Unkenntnis zeugen könnte und aktualisiert oder überdacht werden muss.

Dennoch, reden Sie mit uns. Kommen Sie zu uns.

Ihr Dr. Dieter Jung

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