Veröffentlicht: 23.10.2020 | Lesezeit: 4 Minuten

Wenn es um gesellschaftliche Strukturen, Führungspositionen etwa in Politik und Wirtschaft oder gleiche Rechte und Bezahlung geht, sollte es in einer modernen Gesellschaft keine Unterschiede zwischen Mann und Frau geben. In der Medizin jedoch kann eine genaue physiologische, hormonelle und anatomische Unterscheidung der beiden biologisch-hormonellen Geschlechter Leben retten und vor teilweise gravierenden Nebenwirkungen bei Medikamenten bewahren.
Dennoch galt bis vor einigen Jahren der biologische Mann als Standardmensch in der medizinischen und pharmakologischen Forschung mit erheblichen Folgen für Frauen. Seit einigen Jahren ist aber ein Prozess im Gange, der ein wichtiges Ziel verfolgt und dabei die gesamte wissenschaftliche Grundauffassung der modernen Medizin ändern will: die geschlechterspezifische Medizin.
Aktuelle Probleme in der modernen Medizin
Männer und Frauen unterscheiden sich in ihrer Anatomie, der Zusammensetzung der Hormone und Chromosomen. Dieses eigentlich vorhandene Basiswissen wurde in der Medizin und der Medikamentenforschung dennoch jahrzehntelang vernachlässigt. Hier gilt bis heute ein junger, gesunder, etwa 70 Kilogramm schwerer Mann als Standard. Abgesehen von Erkrankungen, die aufgrund der Geschlechtsorgane nur Frauen betreffen, der Schwangerschaft und der Geburt orientieren sich alle heutzutage gängigen medizinischen Maßnahmen an dieser Betrachtungsweise.
Auch bei der Erforschung von Wirkungen und Nebenwirkungen von Medikamenten wird auf umfangreiche Tests mit Frauen verzichtet. Ein Grund dafür sind die natürlichen Schwankungen im weiblichen Hormonhaushalt, die es für Pharmakonzerne schwieriger machen, einheitlich klare Ergebnisse zu erhalten. Hinzu kommt, dass junge Frauen kurz nach einer Studie schwanger werden könnten und das Kind durch noch im Körper der Mutter vorhandene Wirkstoffe bleibende Schäden davonträgt.
Dabei könnten breiter angelegte Studien mit Testgruppen aus genetischem Geschlecht, Transmenschen und verschiedenen Altersgruppen belastbarere Ergebnisse über die Wirksamkeit eines neuen Medikaments liefern. Denn nachweislich reagieren Frauen auf bestimmt Arzneimittel anders als Männer. Ebenso verhält es sich bei einigen Krankheiten, die mit anderen Symptomen und Reaktionen auftreten. Und auch soziokulturelle Aspekte können nach Ansicht von Experten bei Krankheiten eine Rolle spielen.
Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen
Ein Grund für die unterschiedlichen Reaktionen ist unter anderem in den Geschlechtschromosomen X und Y zu finden. Deren genetischer Code ist je nach Zusammensetzung zum Beispiel für die Produktion der Hormone Testosteron und Östrogen verantwortlich. Die beiden Sexualhormone sind ein elementarer Bestandteil des Körpers und beeinflussen das Herz-Kreislauf-System, den Stoffwechsel sowie das Immunsystem. Studienergebnisse zeigen, dass diese genetischen Unterschiede dafür verantwortlich sind, dass zum Beispiel Autoimmunerkrankungen öfter bei Frauen diagnostiziert werden als bei Männern.
Seitdem sich Forscherinnen und Forscher weltweit mit der Thematik der geschlechterspezifischen Medizin oder auch Gendermedizin befassen, gibt es immer mehr neue Erkenntnisse über die medizinischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern.
Leber
Das Organ zu Reinigung des Körpers ist bei Frauen kleiner als bei Männern. Zusätzlich sind hier, abhängig vom Geschlecht, teilweise unterschiedliche Enzyme aktiv. Dadurch läuft zum Beispiel der Abbau von Medikamenten in einem anderen Tempo ab. Das hat einen Einfluss darauf, wie lange sich Wirkstoffe im Blut befinden.
Die anatomisch meist kleineren Organe einer Frau und weitere körperlicher Begebenheiten können somit die Gefahr einer Überdosierung erhöhen, da die Leber die Medikamenteninhalte nicht ausreichend schnell abbauen kann.
Darm
Studien haben ergeben, dass der weibliche Darm seine Arbeit ein wenig langsamer verrichtet als der Männliche. Dementsprechend benötigt der Körper einer Frau mehr Zeit, um Wirkstoffe überhaupt komplett aufzunehmen.
Es zeigt sich jedoch auch, dass Männer im Gegensatz zu Frauen häufiger und bereits in jüngeren Jahren an End- und Dickdarmkrebs erkranken.
Immunsystem
Die unterschiedlichen genetischen Voraussetzungen bewirken, dass es Krankheiten gibt, von denen Frauen häufiger betroffen sind als Männer. Dazu gehören vor allem Autoimmunerkrankungen, die direkt mit dem Immunsystem zusammenhängen.
Vereinfacht gesagt haben Frauen die aktiveren und stärkeren Abwehrkräfte. Diese eigentlich positive Eigenschaft kann sich jedoch auch gegen den eigenen Körper wenden, indem eigene Zellen als schädliche Fremdkörper erkannt werden, die es zu bekämpfen gilt.
Herz
Frauen haben andere Herzinfarktsymptome als Männer. Dadurch das dieser Fakt erst seit einigen Jahren vermehrt in die medizinische Praxis einfließt, gibt es immer noch Fehldiagnosen mit teilweise tödlichen Folgen. Auf welche Anzeichen Frauen achten sollten, haben wir uns bereits in unserem Beitrag über den Herzinfarkt bei Frauen genauer angesehen.
Die bisher genannten Unterschiede sind aber bei Weitem nicht die Einzigen. Auch bei den Knochen, den Nieren, Fettzellen, Schilddrüsen und den Hormonen gibt es klare und in der Medizin bisher nicht ausreichend beleuchtete Unterschiede.

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