Therapien für seltene Krankheiten erreichen Patienten heute schneller

Eine Ärztin hört mit einem Stethoskop die Lunge einer Patientin ab – Symbolbild für medizinische Untersuchung und bessere Versorgung bei seltenen Krankheiten. In Deutschland sind ca. 4 Millionen Menschen von einer seltenen Erkrankung betroffenen. | © Nuttapong punna - stock.adobe.com

Immer mehr Medikamente, die vor wenigen Jahren noch wie ferne Hoffnung wirkten, schaffen es inzwischen deutlich rascher zu den Betroffenen. Gründe dafür reichen von beschleunigten Zulassungswegen über präzisere Kodierungssysteme bis hin zur spezialisierten Apotheke, die sich nahtlos zwischen Klinik und Alltag bewegen. Für Patienten und Patientinnen mit seltenen Erkrankungen bedeutet das eine spürbare Verkürzung der Wartezeit auf dringend notwendige Behandlungen.

Kodierung

Kodierungssysteme sind medizinische oder abrechnungstechnische Klassifikationssysteme, mit denen Diagnosen, Therapien oder Arzneimittel eindeutig erfasst und abgerechnet werden. Dies kann die Abrechnungsgenauigkeit im Gesundheitswesen (z. B. über ICD- oder OPS-Codes), die Nachvollziehbarkeit von Therapien in Studien oder Zulassungsverfahren und die Transparenz zwischen Ärzten bzw. Ärztinnen, Kliniken, Apotheken und Krankenkassen verbessern.

Seltene Erkrankungen in Zahlen – warum Geschwindigkeit zählt

In Europa spricht man von einer seltenen Erkrankung, wenn sie bei höchstens 5 von 10.000 Menschen auftritt. Was klein klingt, betrifft in Deutschland rund 4 Mio. Patienten und Patientinnen, in der EU sogar etwa 30 Mio. Fälle. Hinter diesen Daten stehen mehr als 6.000 unterschiedliche Krankheitsbilder, welche in der Praxis oft zu spät erkannt werden.

Für Betroffene bedeutet das häufig eine jahrelange Suche nach der richtigen Diagnose. Nur wenige ausgewiesene Experten und Expertinnen stehen zur Verfügung, sodass wertvolle Zeit verstreicht. Genau deshalb sind strukturierte Versorgungspfade unverzichtbar. Zentren für seltene Erkrankungen (ZSE), die internationale Datenbank Orphanet sowie die verpflichtende Kodierung durch Alpha-ID-SE und ORPHAcode sorgen inzwischen für mehr Sichtbarkeit und Vergleichbarkeit. Damit diese Instrumente tatsächlich den Zugang zu schnellerer Therapie beschleunigen können, müssen alle Beteiligten verlässlich zusammenarbeiten.

Fachapotheke als Drehscheibe zwischen Klinik, Praxis und Zuhause

Zwischen der ärztlichen Verordnung und der tatsächlichen Anwendung einer seltenen Therapie liegen oft kritische Stunden. Genau hier kommt die Fachapotheke für seltene Erkrankungen ins Spiel: Sie fungiert als Bindeglied zwischen Klinik, Praxis und dem Zuhause der Patienten bzw. Patientinnen. Ihre Aufgabe reicht weit über die reine Abgabe hinaus, sie steuert komplexe Abläufe, welche darüber entscheiden, ob eine dringend benötigte Behandlung pünktlich und sicher ankommt.

Dass dies gelingt, zeigen messbare Leistungen. So verkürzt die Lager- und Beschaffungskompetenz die Zeit von der ärztlichen Verordnung bis zur Erstabgabe im Durchschnitt erheblich. Bei temperatursensiblen Orphan Drugs (Medikamente, die speziell für seltene Krankheiten entwickelt wurden) liegt die Quote erfolgreicher Lieferungen innerhalb von 24 bis 48 Stunden im hohen Bereich, was gerade bei Kühlware von entscheidender Bedeutung ist.

Doch Versorgung endet nicht mit der Auslieferung. Fachapotheken übernehmen strukturierte Arzneimitteltherapiesicherheits-Checks, prüfen Wechselwirkungen und führen Schulungen durch. Dies kann Patienten bzw. Patientinnen und Angehörigen den Umgang mit Pens, Pumpen oder Infusionen (Geräte, mit denen Betroffene Medikamente selbst verabreichen können) erheblich erleichtern. Hinzu kommt die koordinierte Kommunikation mit Kostenträgern: Rezepte werden überprüft, Erstattungsfragen geklärt und Zuzahlungen gemanagt, damit keine Verzögerungen entstehen.

Unsichtbares wird sichtbar mit präziser Kodierung

Seit dem 01.04.2023 ist die Kodierung seltener Erkrankungen im stationären Bereich verpflichtend. Was auf den ersten Blick wie eine bürokratische Vorgabe wirkt, entfaltet in der Realität enorme Wirkung: Sichtbarkeit und Datenqualität steigen, die Versorgungssteuerung wird messbar präziser.

Das Werkzeug dafür heißt Alpha-ID-SE. Es verbindet die bekannte ICD-10-GM-Systematik (Internationales Klassifikationssystem für Krankheiten, Grundlage für ärztliche Abrechnung in Deutschland) mit einer eindeutigen Orpha-Kennnummer. Damit entsteht eine standardisierte Erfassung, welche nicht nur Ärzte und Ärztinnen entlastet, sondern auch Forschenden völlig neue Möglichkeiten eröffnet. Plötzlich werden Krankheitsbilder auffindbar, die bislang im Datendschungel verschwanden.

Als nationale Plattform spielt Orphanet beim BfArM eine zentrale Rolle. Hier laufen die ORPHAcodes (Eindeutiger Code für eine bestimmte seltene Erkrankung aus der Orphanet-Datenbank) zusammen, welche als Kernaufgabe für die Dokumentation und Klassifikation seltener Erkrankungen genutzt werden. Für Patienten und Patientinnen bedeutet das langfristig, dass spezialisierte Therapien und Spezialmedikamente schneller identifiziert, gezielter eingesetzt und verlässlicher erstattet werden können.

Kodierung ist damit kein abstraktes Zahlenspiel, sondern der Schlüssel zu einer Versorgung, welche komplexe Krankheitsbilder nicht länger unsichtbar bleiben lässt.

Zwischen Zulassung und Alltag liegt ein Spiel auf Zeit

Neue Wirkstoffe für seltene Erkrankungen durchlaufen in Deutschland einen besonderen Bewertungsweg. Nach dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (SGB V § 35a) wird jedes Präparat einer frühen Nutzenbewertung unterzogen. Bei sogenannten Orphan Drugs gilt dabei zunächst eine gesetzliche Vermutung für einen Zusatznutzen, bis eine bestimmte Umsatzschwelle überschritten ist. Erst dann folgt eine erneute, detaillierte Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss.

Wie das praktisch aussieht, zeigen aktuelle Beispiele. Das Verfahren zu Efanesoctocog alfa für Hämophilie A wurde am 02.10.2024 abgeschlossen. Efgartigimod alfa für Myasthenia gravis hingegen befindet sich bereits in der Neubewertung, da die 30 Mio. Euro Grenze überschritten wurde. Dies verdeutlicht, dass es nicht nur um theoretische Verfahren geht, sondern um konkrete Entscheidungen, die unmittelbaren Einfluss auf den Zugang zu Therapien haben.

Typische Fristen vom Start des Bewertungsverfahrens bis zum Beschluss liegen im Bereich bei etwa 3 Monaten. Für Patienten und Patientinnen macht diese Geschwindigkeit den Unterschied, ob eine Behandlung rechtzeitig verfügbar wird oder ob sich ein gefährlicher Aufschub ergibt.

Sicherheit beginnt nicht im Krankenhaus sondern an der Haustür

Sobald eine seltene Therapie das Krankenhaus verlässt, beginnt der sensibelste Teil der Versorgung. Kühllogistik, Lieferzeiten und die sichere Anwendung im häuslichen Umfeld entscheiden darüber, ob Patienten und Patientinnen ihre Behandlung ohne Unterbrechung fortsetzen können.

Fachapotheken zeigen hier, dass sich Qualität in Zahlen abbilden lässt. Eine hohe Temperatur-Compliance-Rate belegt, dass Kühlware zuverlässig im Sollbereich bleibt. Ebenso wichtig ist die First-Attempt-Delivery-Rate: Je höher der Anteil der Lieferungen, die bereits beim ersten Versuch pünktlich eintreffen, desto reibungsloser läuft die Therapie. Im Schadensfall zählt jede Stunde, dokumentierte Reaktionszeiten bei Ersatzlieferungen machen transparent, dass niemand lange auf lebenswichtige Präparate warten muss.

Auch nach der Übergabe endet die Verantwortung nicht. Schulungen zur Anwendung, telefonische Nebenwirkungs-Hotlines und standardisierte Nachkontrollen an Tag 3, Tag 7 und Tag 30 schaffen Vertrauen und reduzieren Risiken. So wird aus komplexer Logistik ein nachvollziehbares Sicherheitsnetz, das Betroffene in den eigenen vier Wänden den Rückhalt bietet, den sie brauchen.

Seltene Krankheiten rücken stärker in den Fokus

Ein markanter Schritt zur Stärkung der Diagnostik und Versorgung: Das Pilotprojekt genomDE, das die Genomsequenzierung bei seltenen Erkrankungen als Modellvorhaben in den Versorgungsalltag bringen soll, wurde vom BMG bis Ende 2025 verlängert. Ziel ist, die bislang zunächst forschungsbezogene Methodik nachhaltig in den Regelbetrieb zu überführen und so neue genetische Erkenntnisse direkt in Therapieentscheidungen zu integrieren.

Genomsequenzierung

Die Genomsequenzierung ist ein biotechnologisches Verfahren, mit dem die vollständige Abfolge der Basen (DNA-Bausteine) im Erbgut eines Organismus bestimmt wird. Einfach gesagt: Sie zeigt, in welcher Reihenfolge die vier DNA-Bausteine (Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin) im Genom angeordnet sind – also eine Art „genetische Landkarte“.

Gleichzeitig erhöht das Bundesministerium für Gesundheit den Druck auf alle Beteiligten: Erste Erfolge wie die Koodierungspflicht im stationären Sektor und spezialisierte Zentren für seltene Erkrankungen (ZSE) als wichtige Versorgungsanker zeigen, dass den in Deutschland 4 Mio. Betroffenen schneller geholfen werden kann.

Wohin sich seltene Therapien künftig entwickeln könnten

Seltene Erkrankungen sind längst kein Randthema mehr. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass Politik, Forschung sowie Versorgung enger zusammenspielen als je zuvor. Neue Kodierungsstandards sorgen dafür, dass bislang unsichtbare Krankheitsbilder erfasst und ausgewertet werden können. Beschleunigte Bewertungsverfahren verkürzen den Zeitraum zwischen Zulassung und Preisfestlegung. Fachapotheken sichern mit belastbaren Kennzahlen wie Temperaturstabilität oder Lieferquoten die Alltagstauglichkeit hochsensibler Therapien. All diese Bausteine greifen ineinander und erzeugen eine Versorgung, die Patienten und Patientinnen schneller, sicherer und nachvollziehbarer erreicht.

Die Entwicklung wird hier jedoch nicht stoppen. Digitale Diagnostikverfahren könnten schon bald Symptome früher erkennbar machen und den oft jahrelangen Weg zur richtigen Diagnose drastisch verkürzen. Vernetzte Datenplattformen eröffnen Forschenden die Möglichkeit, Informationen international zusammenzuführen, wodurch seltene Krankheitsbilder nicht länger im Schatten wissenschaftlicher Aufmerksamkeit verharren. Auch bei der Preisbildung zeichnen sich neue Modelle ab, die nicht nur schneller, sondern auch gerechter zwischen Kostenträgern sowie Betroffenen verhandelt werden.

Für Patienten und Patientinnen eröffnet sich damit eine Perspektive, die Hoffnung und Realität stärker miteinander verbindet. Was bislang mit langen Wartezeiten, Unsicherheit und unzähligen Hindernissen verbunden war, entwickelt sich Schritt für Schritt zu einer Versorgung, die planbar und zuverlässig wird. Die eigentliche Frage ist nicht mehr, ob sich dieser Wandel durchsetzt, sondern wie konsequent er weiterverfolgt wird und ob Sie als Leser:in schon bald erleben, dass seltene Krankheiten nicht länger unsichtbar bleiben.

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