CMD: Die Volkskrankheit Kieferfunktionsstörung

Wir beißen uns durch, erledigen etwas zähneknirschend oder müssen die Zähne zusammenbeißen – viele Redensarten legen nahe, dass unser Kiefer in stressigen Situationen eine große Rolle spielt. Und tatsächlich ist es oft er, der unsere Anspannungen ausbaden soll; etwa wenn wir uns durch eine besonders anstrengende Übung beim Sport kämpfen und dabei die Zähne fest zusammenpressen.

Grundsätzlich ist unser Körper natürlich auf diese Belastung ausgelegt. Die ständige Anspannung kann aber auch zu Problemen führen. Nacken- und Kopfschmerzen, Rückenbeschwerden aber auch ein Tinnitus können die Folge sein – alles Anzeichen einer CMD.

Was bedeutet die Diagnose CMD?

Die Abkürzung CMD steht für craniomandibuläre Disfunktion. Viele Ärzte nennen Sie auch Kieferfunktionsstörung. Die Auslöser dafür können ganz unterschiedlich sein – von Fehlstellungen im Beckenbereich bis zu einem fehlenden Zahn. Der Heilpraktiker Dr. Torsten Pfitzer setzt sich deshalb für eine ganzheitliche Therapie der CMD ein.

In seinem Buch Kiefer gut, alles gut aus dem riva Verlag erläutert er Behandlungsmöglichkeiten und gibt ganz praktische Tipps, was Patienten gegen die Beschwerden tun können. Für uns hat er einige Fragen dazu beantwortet:

Kiefer gut, alles gut CMD Buchcover Dr. Torsten Pfitzer

ÄRZTE.DE: Gefühlt klagen immer mehr Bekannte über Zähneknirschen, Kieferschmerzen oder Nackenverspannungen – alles Symptome der CMD. Ist das ein neues Phänomen? Oder haben wir früher einfach nicht darüber gesprochen?

Dr. Pfitzer: Ihre Beobachtung ist schon richtig. CMD tritt immer häufiger auf, weil es eine Zivilisationskrankheit ist. Und wie bei jeder Zivilisationskrankheit, je zivilisierter, technologisierter und mechanischer unsere Welt wird, desto stärker kommt sie in den Vordergrund. Unsere Gesundheit ist eben sehr abhängig von unserem modernen oder auch überzivilisierten Lebensstil.

ÄRZTE.DE: Woher kommt CMD denn genau?

Dr. Pfitzer: Ein großer Teil ist sicherlich dem geschuldet, dass die Welt immer schnelllebiger wird. Stress ist ein großer Faktor bei CMD und den können wir heutzutage kaum noch vermeiden. Dadurch ist unser Nervensystem überlastet und es kommt zu muskulären Anspannungen, was wiederum CMD begünstigt.
Gleichzeitig bewegen wir uns immer weniger. Die Muskel-Faszien-Ketten, die den ganzen Körper durchziehen, verbringen viel Zeit in stagnierenden Positionen, die wir fast den ganzen Tag über einnehmen, etwa wenn wir im Büro sitzen. Diese Haltungen haben auch einen großen Einfluss auf die muskuläre Anspannung in Nacken- und Kiefermuskulatur.
Hinzu kommt noch unsere Ernährung, die sich sehr stark verändert hat im Vergleich zu früher. Sie ist viel unnatürlicher geworden. Die Giftstoffe, die wir in der Nahrung aufnehmen, werden häufig im Muskel- und Fasziengewebe abgelagert. In der Folge kommt es zu Verklebungen, verstärkten Spannungen und Verhärtungen. Diese schränken den Stoffwechsel und die Gleitfähigkeit der Muskelfasern ein, verursachen Schmerzen und führen ebenfalls zu Verspannungen.

Ebenso kann CMD durch ungünstige Abweichungen im Biss, beispielsweise zu hohe Füllungen oder fehlende Zähne, verursacht werden.
Zuletzt würde ich noch die Strahlungssituation anführen. Diese ist wichtiger als wir es oft wahrnehmen. Ihr Handy halten viele Leute zum Beispiel direkt ans Ohr neben Kiefergelenk und Kiefermuskulatur. Wir wissen bereits, dass unsere Zellen auf diese Frequenzen reagieren.

ÄRZTE.DE: Zu welchem Arzt sollte ich gehen, wenn ich bei mir CMD vermute?

Dr. Pfitzer: Das Wichtigste ist zunächst, beim Hausarzt oder beim Facharzt organische Ursachen auszuschließen. Der nächste Schritt wäre dann, die Verspannungen zu behandeln und zu beobachten, ob sich die Beschwerden dadurch verändern. Wer hierzu die passenden Übungen kennt, kann es durchaus erst mal alleine versuchen. Ansonsten geht das zum Beispiel bei einem spezialisierten Therapeuten oder Osteopathen. Anschließend oder zeitgleich können Sie sich an einen auf CMD spezialisierten Zahnarzt wenden.

ÄRZTE.DE:  In Ihrem Buch empfehlen Sie viele verschiedene Übungen. Reichen die alleine denn aus?

Dr. Pfitzer: Die Übungen können allein helfen, nicht zu vergessen sind jedoch auch die erwähnten Lebensstilveränderungen. Am Ende kommt es aber vor allem darauf an, wo die Ursache liegt. Die Übungen können Verbesserungen bringen, aber natürlich keine erhöhte Zahnfüllung ausgleichen. Doch auch wenn die Beschwerden primär vom Aufbiss kommen, sind die Übungen ergänzend extrem hilfreich. Eine Patientin mit Ohrgeräuschen hat mir zum Beispiel schon eine Rückmeldung auf das Buch gegeben. Nach zehn Tagen konnte sie bereits deutliche Verbesserungen spüren.

Dr. Torsten Pfitzer CMD Übung

ÄRZTE.DE: Mein Zahnarzt hat mir bereits eine Knirschschiene verordnet. Löst diese nicht die Probleme, die ich mit dem Aufbiss haben könnte?

Dr. Pfitzer: In mindestens 90 % der Fälle ist diese Schiene eine reine Schutzschiene, damit sich die Zähne nicht noch weiter abreiben. Sie soll meistens nachts dafür sorgen, dass beim Knirschen nicht Zahn auf Zahn aufeinandertreffen und der Zahnschmelz abgearbeitet wird. Teilweise hat das auch den Effekt, dass weniger Knirschen zustande kommt. Ein therapeutisches Schienensystem ist diese Schutzschiene aber nicht.
Wenn Ihre Schiene Teil einer zahnärztlichen CMD-Behandlung ist, dann wissen Sie das auch. Denn dann wird sie gerade am Anfang häufig angepasst, teilweise sogar im wöchentlichen Rhythmus. Dabei werden Teile neu angesetzt oder weggeschliffen, bis eine entspannte Kieferposition gefunden ist.

ÄRZTE.DE: Wie sieht eine ganzheitliche CMD-Therapie aus?

Dr. Pfitzer: Die Therapie ist natürlich sehr individuell. Nicht jede Maßnahme ist für jeden Patienten sinnvoll, das kommt auch ein bisschen auf die Beschwerden an. Ich würde mir auf jeden Fall die muskulären Verspannungen und faszialen Verklebungen anschauen. Die meisten Übungen im Buch zielen auch darauf ab, weil man das eben sehr gut selber machen kann. Dabei spielt nicht nur die innere und äußere Kiefermuskulatur, sondern auch die ganze Faszien-Kette eine Rolle: von der Hals- und Nackenmuskulatur über das Zwerchfell, die Bauchmuskulatur und die Hüftbeuger bis hinunter zu den Waden und Füßen.
In vielen Fällen kann es nämlich auch vorkommen, dass die CMD nicht im Kiefer entsteht, sondern von unten aufsteigt. Das heißt zum Beispiel: das Spannungsungleichgewicht durch eine Sprunggelenksverletzung oder einen Beckenschiefstand wird mit der Zeit nach oben bis in die Kieferposition weitergeleitet. Das verursacht dann die Beschwerden.

Die Ursache könnte aber auch vornehmlich im Aufbiss zu finden sein; wenn zum Beispiel eine Krone oder eine Füllung nicht 100 % gesetzt worden ist. Ich denke, jeder, der schon einmal eine Füllung bekommen hat, kennt das: Erst mal fühlt sich das komplett anders an, wenn man draufbeißt. Der Patient sollte sich nicht scheuen, dem Zahnarzt zu sagen, das Material so gut es geht anzugleichen. Sonst entsteht eine Erhöhung und der Kiefer versucht sie wegzureiben. Das kann einige Zeit dauern und ist eine große Belastung für die Kiefergelenke. Oft verschieben diese sich auch und es entsteht ein falscher Aufbiss. Bei diesen Faktoren ist es ratsam zu einem auf CMD spezialisierten, möglichst ganzheitlich arbeitenden Zahnarzt zu gehen.

ÄRZTE.DE: Übernimmt meine Krankenkasse denn die Kosten einer solchen Therapie?

Dr. Pfitzer: Bei therapeutischen Behandlungen ist es sicherlich einfacher eine Erstattung zu bekommen als bei einer zahnärztlichen CMD-Behandlung. Viele gesetzliche Krankenkassen bezuschussen zumindest Osteopathie. In dem Fall brauchen Sie vom Arzt lediglich eine Verschreibung. Die Kosten halten sich dabei aber auch noch im Rahmen.
Die CMD-Therapie beim Zahnarzt ist grundsätzlich keine Leistung der gesetzlichen Kassen. Es lohnt sich aber, trotzdem anzufragen. Manchmal hat man Glück mit der Bearbeiterin oder dem Bearbeiter, sofern die Voraussetzungen stimmen – etwa eine klare Diagnose von einem Facharzt. Viele gesetzliche Kassen haben auch Bonusprogramme, unter die zumindest ein Teil der Leistungen fallen könnte. Die Systeme sind da sehr unterschiedlich, deshalb müssten Sie auch hier genauer nachfragen.
Private Krankenversicherungen und Zusatzversicherungen sollten die zahnärztliche CMD-Behandlung im Normalfall erstatten. Das hängt aber auch sehr vom Tarif ab, da gibt es ja viele Unterschiede. Eine gewisse Rücksprache lohnt sich immer. Ich würde im Voraus also immer mit den Zuständigen sprechen. Meistens läuft auch hier die Erstattung nicht ganz so leicht ab. Oft möchte die Versicherung erst medizinische Begründungen und Gutachten haben. Das kann dann auch sehr langwierig werden.

ÄRZTE.DE: Was kann ich denn selbst gegen CMD tun? Gibt es eine Möglichkeit vorzubeugen?

Dr. Pfitzer: Letztendlich kommen wir da wieder auf die Frage nach den Auslösern der CMD zurück: vorneweg unser Lebensstil. Man sollte das Potenzial nicht unterschätzen, das im Alltag und in der Lebensweise steckt. Einerseits kann es uns stark in die CMD bringen, andererseits können wir damit selbst auch präventiv und therapeutisch etwas tun. Das Wichtigste ist sicherlich zu betrachten, wie es mit dem Stress aussieht. Wo gibt es Belastungssituationen, die ich verändern könnte? Muss ich wirklich so hohe Ansprüche an mich, meine Arbeit oder das Familienleben haben? Als zweiten Schritt gilt es, sich Techniken anzueignen, um mit Stress besser umzugehen, etwa Autogenes Training.
Auch unser Schlaf ist bei CMD wichtig. Die meisten haben heutzutage Schlafmangel oder Schlafstörrungen. Auch da kann CMD verstärkt auftreten, weil der Körper sich nicht mehr so gut regenerieren kann. Zudem können gewisse Schlafpositionen, bei denen der Kiefer immer nur in eine Richtung gedrückt wird, die Beschwerden verstärken; etwa wenn man immer auf der gleichen Seite schläft oder sich vor dem Fernseher abstützt. Die Ernährung spielt natürlich auch eine Rolle.
Wir müssen uns immer fragen: Wie sind wir überhaupt in diese Situation gekommen? Wenn wir das nicht ändern, wird sie immer wieder kommen. Auch wenn es für den Einzelnen anstrengend sein kann, seine Gewohnheiten zu ändern: Es lohnt sich!

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