Wandel im Gesundheitssystem: Fast jeder zweite Bundesbürger in der privaten Krankenversicherung

Das deutsche Gesundheitssystem gilt als eines der besten im weltweiten Vergleich. Das duale Krankenversicherungssystem bietet Bürgern und Bürgerinnen die Möglichkeit, ihre Gesundheitsversorgung über die Gesetzliche oder die Private Krankenversicherung abzusichern. Obwohl Ersteres bis vor einigen Jahren noch der bestimmende Faktor im deutschen Gesundheitssystem war, ist heute fast jede(r) zweite Bundesbürger:in privat zusatzversichert. Diese Entwicklung spiegelt einen Wandel im Gesundheitssystem wider.

Private Krankenversicherung meldet starken Zuwachs

Im Rahmen der PKV-Jahrestagung 2023 präsentierte der Verband der Privaten Krankenversicherungen (PKV) aktuelle Zahlen und Entwicklungen aus dem vergangenen Jahr. Nach Angaben des Vorsitzenden des Verbandes Thomas Brahm ist die Gesamtzahl im Laufe des letzten Jahres um mehr als 600.000 angestiegen und liegt aktuell bei etwa 37,8 Millionen. Bei der Anzahl der Zusatzversicherungen konnte ein Wachstum von 2,2 Prozent auf mehr als 29 Millionen verzeichnet werden.

Diese Entwicklung bildet einen Trend ab, der sich seit einigen Jahren abzeichnet. Immer mehr gesetzlich Krankenversicherte nutzen die Möglichkeit, ihren Versicherungsschutz und die Basisleistungen der gesetzlichen Krankenkassen durch Bausteine aus der privaten Gesundheitsversorgung aufzustocken. Doch nicht nur in diesem Bereich ist ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen. Auch beim Wechsel zwischen gesetzlichen und privaten Krankenkassen bilden die aktuellen Zahlen einen Wandel ab. 

Wechsel in private Krankenversicherung wird interessanter

Die Private Krankenversicherung wird für deutsche Bundesbürger:innen immer interessanter. Und zwar nicht nur als Zusatzoption zur Aufstockung der Basisversorgung, sondern als Alternative zur gesetzlichen Krankenversicherung. Wie die aktuellen Zahlen zeigen, entscheiden sich immer mehr Menschen für einen vollständigen Wechsel.

Der Gesamtanstieg der privat Krankenversicherten ergibt sich aus einem konkreten Wechsel von 146.500 zu einem privaten Anbieter. Dem gegenüber stehen 116.200 Versicherte, die gegenläufig wechselten. Um die Bedeutung der Kennzahlen für einen Wandel im Gesundheitssystem einordnen zu können, muss berücksichtigt werden, dass der zuletzt genannte Wechsel in den meisten Fällen nicht auf Wunsch der Versicherten erfolgt. Der überwiegende Anteil geht auf junge Berufseinsteiger:innen zurück, die bis zu ihrem berufsqualifizierenden Abschluss über die Familienversicherung bei einem privaten Anbieter waren. Mit dem Eintritt ins Berufsleben sind die wirtschaftliche Situation und der berufliche Status in den meisten Fällen nicht ausreichend, um eigenständig bei einem privaten Anbieter zu bleiben. Viele dieser Versicherten kehren zu einem späteren Zeitpunkt jedoch in die private Krankenversicherung zurück, wenn sie die Anforderungen wieder erfüllen können. 

Die Zahlen seit 2020 sind zudem stark geprägt von den Auswirkungen, die die Pandemie auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen hatte. Im Zuge der Corona-Pandemie waren viele Selbstständige gezwungen, in ein Angestelltenverhältnis zurückzuwechseln, um ihre wirtschaftliche Absicherung gewährleisten zu können. Besonders stark betroffen waren Solo-Selbstständige. Wie eine Erhebung der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, war rund ein Drittel der in Deutschland selbstständig Tätigen im Rahmen der Corona-Pandemie gezwungen, den Beruf einzuschränken oder sogar ganz aufzugeben. Die Rückkehr in die gesetzliche Krankenversicherung ist nur eine Begleiterscheinung dieser beruflichen Veränderung.

Von 2020 bis 2022 flossen die Auswirkungen der Pandemie auf die Selbstständigkeit in Deutschland stark in die Entwicklung der Krankenkassenzugehörigkeit mit ein.

Private Pflegeleistungen verzeichnen stärksten Zuwachs

Fast jede(r) zweite deutsche Bundesbürger:in bezieht inzwischen Zusatzleistungen im Gesundheitsbereich durch private Versicherer. Ein Blick auf die konkreten Zahlen zeigt, dass vor allem bei den privaten Pflegeleistungen ein starker Zuwachs verzeichnet werden kann. Für das Versicherungsjahr 2022 ergab sich ein Anstieg der Einnahmen im Pflegebereich um 3,7 Prozent auf 47,1 Milliarden Euro. Etwa fünf Milliarden dieses Umsatzes entfallen auf die private Pflegepflichtversicherung. Diese konnte einen Zuwachs von rund 15 Prozent verzeichnen.

Gleichzeitig dokumentiert der Verband der Privaten Krankenversicherung auch eine Erhöhung der ausgeschütteten Leistungen im Pflegebereich. Diese beliefen sich 2022 auf 2,3 Milliarden Euro und damit 5,6 Prozent mehr als im vorangegangenen Versicherungsjahr.

Mit der Einführung des Fünf-Pflegegrad-Modells Anfang 2017 sollten viele Versicherte im Hinblick auf die Leistungen bessergestellt werden. Unter anderem wurde gesetzlichen Pflegekassen die Möglichkeit eingeräumt, eigene private Pflegezusatzversicherungen anzubieten. So konnten Kunden und Kundinnen ihren Versicherungsschutz für den Pflegefall aufstocken, ohne dafür in eine private Pflegekasse wechseln zu müssen. Beobachtungen des Versicherungsmarktes zeigen, dass der größte Zuwachs im Bereich Pflegeversicherungen dennoch bei den privaten Anbietern zu verzeichnen ist. Hier wählen gesetzlich Krankenversicherte häufig einzelne Zusatzbausteine, um im Falle einer Pflegebedürftigkeit bessere Leistungen in Anspruch nehmen zu können.

Die Entwicklung spiegelt die gestiegenen Kosten für Pflege aus den vergangenen Jahren wider. Wie der Verband der Ersatzkassen bekannt gab, zahlten Pflegebedürftige für einen Heimplatz im Jahr 2022 im bundesweiten Durchschnitt 2411 Euro im Monat aus eigener Tasche. Das entspricht einer Steigerung von 278 Euro als zu Beginn des Jahres (Quelle: tagesschau.de). Der Kostenanstieg betrifft den Eigenanteil für Pflege und Betreuung, der nur anteilig von der Pflegekasse getragen wird. Auch die zusätzlichen Kosten für Unterkunft, Verpflegung, Material- und Verwaltungskosten sowie für Investitionen, die das Pflegeheim tätigen muss, sind hier mit inbegriffen.

Branchenexperten und -expertinnen prognostizieren in den kommenden Jahren eine weitere Verschärfung der Kostenlage im Pflegebereich. Vor allem gesetzlich Versicherten wird die Inanspruchnahme einer zusätzlichen privaten Absicherung empfohlen, um die bereits vorhandene und voraussichtlich weiterwachsende Lücke schließen zu können.

Große Preisunterschiede zwischen privaten Versicherern

Eine Analyse der aktuellen Preisstruktur bei privaten Krankenversicherern zeigt, dass noch immer große Unterschiede in den Tarifen vorherrschen. Menschen, die vollständig in die private Krankenversicherung wechseln oder einzelnen Bausteine des privaten Zusatzschutzes nutzen möchten, stehen einer komplexen Kostenpolitik gegenüber.

Vor dem Abschluss wird zu einer umfangreichen Recherche und dem Vergleich verschiedener Angebote geraten. Besonders teuer wird es in der Regel für Selbstständige mit hohem Einkommen. Beamte, Studierende und Familienangehörige von privat Versicherten profitieren dagegen von günstigen Versicherungsangeboten. Selbstständige mit einem niedrigen Monatseinkommen fahren mit dem Mindestbeitrag von durchschnittlich 300 Euro in der privaten Krankenversicherung häufig sogar günstiger als in der gesetzlichen Krankenversicherung.

Ein früher Einstieg in die private Krankenversicherung kann viel Geld sparen. Zahlreiche Tarife im gesundheitlichen Bereich sind an das Alter des Versicherungsnehmers, den allgemeinen Gesundheitszustand und bekannte Vorerkrankungen gekoppelt. Je jünger potenzielle Versicherungsnehmer:innen in einen Tarif einsteigen können, desto günstiger fällt meist der Beitrag aus. Je nach Anbieter ist es möglich, bei einem frühen Einstieg einen Tarif zu erhalten, der günstiger ist als ein vergleichbares Leistungspaket in der gesetzlichen Pflegekasse.

Wer sich vorzeitig für einen zusätzlichen Schutz durch private Versicherungsangebote entscheidet, kann seine Versorgungslücke im Bedarfsfall schließen und gleichzeitig von besseren Gesundheitsleistungen profitieren.

 

Die Autorin:

Katja Brehme ist freie Redakteurin und schreibt für Fachmagazine mit medizinischem Schwerpunkt. Nach ihrem Publizistikstudium belegte sie Aufbaustudiengänge in Biologie und Humanmedizin und schreibt heute studienbegleitend in Print- und Online-Medien mit einem Fokus auf medizinischen Fachthemen.

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