Veröffentlicht: 10.10.2024 | Lesezeit: 5 Minuten
In fast allen Mannschafts- und Spielsportarten sind Muskelzerrungen und Muskelfaserrisse ein immer wiederkehrendes Problem. Statistisch gesehen erleiden etwa 20 Prozent aller Spieler:innen im Laufe einer Saison eine Verletzung der so genannten »Hamstrings« - einer Muskelgruppe, die an der Rückseite des Oberschenkels verläuft und maßgeblich an Lauf- und Sprintbewegungen beteiligt ist.
Diese Verletzungen sind besonders problematisch, da sie häufig wiederkehren und zu langen Ausfallzeiten führen können. Um zukünftige Verletzungen zu vermeiden, ist es wichtig, präventive Maßnahmen zu ergreifen, die speziell auf die individuellen Schwächen und Risiken der betroffenen Athleten und Athletinnen abgestimmt sind. Krafttraining hat sich in den letzten Jahren als wirksame Präventionsstrategie erwiesen.
Erklärung am Beispiel der »Hamstring«-Muskulatur
Die Hauptaufgabe der »Hamstrings« besteht darin, das Kniegelenk zu beugen und das Hüftgelenk zu strecken. Zusammen mit dem Quadrizeps an der Vorderseite des Oberschenkels stabilisieren sie das Kniegelenk und steuern Bewegungen wie Beschleunigen und Abbremsen, aber auch das Springen und Landen.
Die »Hamstrings« bestehen aus insgesamt drei einzelnen Muskeln:
- Musculus biceps femoris
- Musculus semitendinosus
- Musculus semimembranosus
Bei sportlichen Aktivitäten, wie in fast allen Mannschafts- und Spielsportarten, werden die »Hamstrings« oft großen Belastungen ausgesetzt, bei denen der Muskel gedehnt wird und gleichzeitig Kraft entwickeln muss. Eine schlechte Vorbereitung auf diese Bewegungsmuster kann zu Verletzungen führen, wenn der Muskel strukturell überlastet wird und in der Folge einzelne Fasern oder sogar ganze Muskelbereiche reißen.
Längen- und Kraftproblematik
Insbesondere beim Springen und Laufen können Kräfte auftreten, die die strukturelle Belastbarkeit der »Hamstrings« übersteigen. Dafür gibt es grundsätzlich zwei verschiedene Ursachen. Diese lassen sich am einfachsten anhand einer Sprintbewegung verdeutlichen:
1. Längenproblem: Am Ende der Schwungphase muss der Unterschenkel nach vorne schwingen, um den Weg für den Schritt nach vorne zu ermöglichen. Dabei werden die »Hamstrings« über das Hüft- und Kniegelenk in eine gestreckte Position gebracht. Ist der Körper nicht in der Lage, diese Position zu tolerieren, kann es aufgrund der maximalen Dehnung zu einem strukturellen Einriss einzelner Muskelfasern oder im schlimmsten Fall zu einem kompletten Muskelriss kommen.
2. Kraftproblem: Sobald der Fuß für die anschließende Standphase den Boden berührt, müssen die bereits vorgedehnten »Hamstrings« das Bein stabilisieren, um eine kontrollierte Gewichtsverlagerung zu gewährleisten. Im Verhältnis zueinander haben die drei Muskeln jedoch wenige überlappende Kontaktpunkte und damit weniger Möglichkeiten, Kraft zu entwickeln. Muskelverletzungen können daher auch durch zu geringe Kraft verursacht werden.
Beide Faktoren – unzureichende Beweglichkeit (Länge) und mangelnde Kraft – erhöhen das Risiko für »Hamstring«-Verletzungen deutlich. Eine effektive Prävention konzentriert sich daher auf die Verbesserung beider Aspekte.
Kann eine Verletzung verhindert werden?
Ja, das Verletzungsrisiko kann in vielen Fällen reduziert werden, indem die Längen- und Kraftproblematik gezielt angegangen wird. Untersuchungen haben gezeigt, dass bereits die Verbesserung eines der beiden Faktoren zu einer Verringerung des Risikos führen kann.
Natürlich ist es nach einer Verletzung oft einfacher, die Ursachen zu erkennen. Sie im Vorfeld zu verhindern, ist aufgrund der komplexen Zusammenhänge im menschlichen Körper eine größere Herausforderung. Dennoch gibt es klare Hinweise darauf, dass gezielte Trainingsprogramme, die sowohl die Beweglichkeit als auch die Kraft stärken, das Risiko deutlich senken können.
Effektive Präventionsmaßnahmen
»Hamstring«-Verletzungen beim Laufen sind häufig, können jedoch durch gezielte Präventionsmaßnahmen wie Krafttraining reduziert werden. Eine der bekanntesten Übungen dafür ist der »Nordic Hamstring Curl«. Dabei lassen Sie sich langsam nach vorne fallen, während die »Hamstrings« den Körper kontrolliert abfängt. Diese Übung stärkt nicht nur die Muskulatur, sondern auch die Fähigkeit des Muskels, in gedehnter Position Kraft zu entwickeln.
Neben dem exzentrischen Training ist auch ein ausgewogenes Athletiktraining wichtig, um dem Körper die Möglichkeit zu geben athletische Bewegungen sicher auszuführen. Dazu eignen sich Übungen wie Deadlifts, Squats und Lunges. Aber auch regelmäßiges Dehnen der »Hamstrings« trägt (im Falle einer Einschränkung) zur Verbesserung der Flexibilität und damit zur Verletzungsrisikoverminderung bei.
Eine kurze Zusammenfassung
Muskelverletzungen, insbesondere der »Hamstrings«, treten im Sport häufig auf, können aber durch gezielte Präventionsmaßnahmen wie ein effektives Krafttraining reduziert werden. Exzentrische Übungen wie der »Nordic Hamstring Curl« und ein ausgewogenes Athletiktraining sind unerlässlich, um das Verletzungsrisiko zu minimieren und die Muskulatur optimal auf die Belastungen im Sport vorzubereiten.
Quellen:
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Autor Silvan Schlegel
Silvan Schlegel ist Sportphysiotherapeut aus Berlin und gehört zum medizinischen Team der deutschen Kunstturn-Nationalmannschaft der Männer. Außerdem hat er sich auf die Prävention sowie die Nachbehandlung von Sportverletzungen spezialisiert. Sein Ansatz der aktiven Rehabilitation und des präventivem Training begleitete bereits zahlreiche Profisportler:innen zurück zur Topform. Dafür sucht er immer wieder nach innovativen Lösungen, auch abseits der bestehenden Strukturen für seine Klienten und Klientinnen.
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