Bakteriophagen – ein Weg aus der Antibiotikakrise?

Die westliche Medizin ruhte sich allzu lange auf der Wirkung der bewährten Antibiotika aus und steuerte so auf die Krise zu, die bereits jetzt mit all ihren Konsequenzen deutlich macht: Es muss eine Alternative zu Antibiotika her, um multiresistenten Bakterien wie MRSA (Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus) oder ESBL (Extended Spectrum β-Lactamase) etwas entgegensetzen zu können. Ein Vorschlag ist die Therapie mit Bakteriophagen.

Das Besondere an der Phagentherapie: Sie war die ganze Zeit greifbar. In Osteuropa, insbesondere in Polen und Georgien bekämpfen Ärzte seit fast 90 Jahren bakterielle Infektionen mit Viren, die ausschließlich Bakterien zerstören. Pressemeldungen sprechen von über 1500 mit antibiotikaresistenten Keimen infizierten Patienten aus Breslau; fast alle profitierten von der Therapie.

Besondere Kniffe der Phagentherapie

Resistent werden können Bakterien im Übrigen auch gegen Bakteriophagen. Das beeinflusst die Wirkung der Phagentherapie jedoch nicht, denn es gilt das Prinzip des „Arms Raising“: auch wenn sich die Bakterien gegen die Viren verteidigen, Letztere finden sofort wieder einen Weg, ihre Ziele anzugreifen. Doch auch in dem Wunderwerk Bakteriophage gibt es eine Grenze. Die Viren befallen keine menschlichen und tierischen Zellen und töten ausschließlich Bakterien. Sind diese aber in der Lage innerhalb dieser Zellen zu überleben oder sich zu vermehren, bleiben die Phagen außen vor. Ansonsten bedienen sich die „Bakterienkiller“ jedoch so ziemlich jedes Kniffes, den die Natur zu bieten hat:

  • Für jedes Bakterium existiert ein homosemer Phage. Einmal aus der Umwelt isoliert, werden sie in Phagenbanken gesammelt.

  • Phagen sind ubiquitär. Sie sind im Wasser, der Erde und aller Nahrung vorhanden. Das Immunsystem kennt die Viren und betrachtet sie daher nicht als Allergen.

  • Antibiotikatherapien zerstören wichtige Bakterien im Darm und das auch nur in der Vermehrungsphase. Die Flora erholt sich nur langsam wieder. Phagen gehen hingegen in jedem Entwicklungsstadium nur gezielt auf eine Art und verschonen alle anderen Mikroben.

Und was passiert dann?
Haben die Phagen alle Wirte beseitigt, können sie sich nicht mehr vermehren. Nach ihrem Zerfall baut der Körper die Überreste ab.

Die Phagentherapie – ein Exkurs:

Der Phage (ein Virus) knüpft an das Bakterium an und infiltriert es mit seinen eigenen Erbgutinformationen. Er übernimmt damit die Kontrolle über das Bakterium, das nun so lange neue Phagen produziert bis es platzt. Die freigesetzten Viren können andere Bakterien angreifen. Ein geniales Schneeballsystem der Natur.

Bereits jetzt werden Phagen für die Konservierung von Lebensmitteln, zur bakteriellen Diagnostik oder in der Biotechnik verwendet. Das mögliche Einsatzgebiet ist jedoch viel größer: Egal ob Schnupfen, Durchfallerkrankungen oder Brandwunden – praktisch jede bakterielle Infektion ließe sich mit dieser Therapie behandeln. Über Umwege würde der Mensch auch von einem Gebrauch in der Veterinärmedizin profitieren. Der dortige Einsatz ließe eine Reduzierung von Antibiotika zu – eine sehr vielversprechende Möglichkeit im Hinblick auf Resistenzen.

Nebenwirkungen

Die Begleiterscheinungen einer Phagentherapie fallen augenscheinlich so gering aus, dass sie für die Praxis bisher keine Auswirkungen hatten. Einige Patienten berichteten über einen schlechten Geschmack im Mund, nachdem sie das Mittel eingenommen hatten, wenige zeigten eine leicht erhöhte Temperatur oder allergische Reaktion.

Hürden für die Zulassung

Die erstaunliche Wirkung der Phagentherapie in Verbindung mit offenbar geringen Nebenwirkungen stellt die ausstehende Zulassung infrage. Es scheint, als scheitere dies bislang vor allem an zwei Punkten:

  1. Fehlendes Interesse der Pharmaindustrie

Forschungsgruppen, staatlich finanzierte Projekte – das Interesse an der Phagentherapie steigt in Deutschland spürbar. Die Pharmaindustrie zeigt sich bislang zurückhaltend, da Bakteriophagen in der Herstellung günstig sind und voraussichtlich nur einen Bruchteil der Einnahmen von Antibiotika einbringen. Fachleute fordern daher Druck seitens der Regierung, um die Verantwortlichen der Gesundheitswirtschaft zu einem Umdenken zu bewegen.

  1. Fehlende Regularien für die Zulassung

Die Rechtslage für das Zulassen neuer Medikamente erfordert in Deutschland einen exakt definierten und kongruenten Grundstoff. Da Phagenmittel spezifisch auf die Keime des Patienten abgestimmt werden, ist dies in Zusammenhang mit dieser Therapie nicht möglich. Kurz gesagt: In der Zulassung von Arzneien ist bisher kein Platz für ein selbstständig replizierendes und evolvierendes System. Deutsche Forschungsgruppen arbeiten daran, diese Hindernisse zu überwinden, allen voran „Phage4Cure“.

Phage4Cure

Die für die Zulassung relevante EU-Direktive für Produkte der Humanmedizin schließt Bakteriophagen bislang nicht ein. „Phage4Cure“ möchte Qualitätsstandards in der Herstellung sicherstellen. Außerdem sollen in klinischen Studien die Sicherheit, Verträglichkeit und Wirkung der Therapie belegt werden. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Projekt seit September 2017 an dem Forscher des Fraunhofer-Instituts für Toxikologie und Experimentelle Medizin, des Leibniz-Instituts-DSMZ und der Berliner Charité gemeinsam arbeiten. Sie wollen Antworten finden auf Fragen wie ob Bakteriophagen Arzneien, Impfstoffe oder eine eigene Art von medizinischen Produkten sind oder wie eine Zulassung von spezifischen Phagenmitteln europaweit für jeden Patienten realisierbar ist. Das langfristige Ziel ist das Etablieren der Phagentherapie als wirksames Mittel gegen bakterielle Infektionen.

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