Veröffentlicht: 18.06.2019 | Lesezeit: 6 Minuten
Jetzt steht sie im Raum: die schlechte Nachricht. Der Krebs ist wieder da und die Prognose ist schlecht. Was folgt, ist Stille – scheinbar unendlich lange, erdrückende Stille. Für Ärzte ist das meist schwer auszuhalten. Weshalb diese Momente der Wortlosigkeit im „Breaking Bad News“-Gespräch so wichtig sind und wie Sie schlechte Nachrichten einfühlsam überbringen können beschreibt dieser Leitfaden.
SPIKES – Breaking Bad News mit Konzept
Der texanische Arzt Walter F. Baile et al. etablierten erst in den USA, später auch international das SPIKES Modell, das Ärzten ein Gesprächskonzept an die Hand gibt. In sechs Stufen soll so ein geschützter und vertrauensvoller Rahmen geschaffen, alle relevanten Informationen vermittelt und der Patient mit möglichst viel Perspektive entlassen werden.
Schritt 1: Situation
Sorgen Sie für die richtige Atmosphäre. Eine schlechte Nachricht sollte in einem ruhigen Zimmer ohne weitere Zuhörer vermittelt werden. Der Patient sollte die Möglichkeit erhalten, sich auf das Gespräch vorbereiten zu können, kündigen Sie es daher im Voraus mehrfach an. Erkundigen Sie sich, ob Angehörige oder eine vertraute Pflegekraft erwünscht sind. Schaffen Sie sich ein Zeitfenster. Weniger als 15 Minuten sollten es keinesfalls sein, denn je mehr Zeit Sie sich nehmen, desto sicherer fühlt sich der Empfänger im Anschluss.
Schritt 2 und 3: Patientenwissen und Informationsbedarf
Welchen Wissenstand und Wissenslücken hat der Patient? Machen Sie sich an diesem Punkt ein Bild, um Fragen wie diese sollten beantworten zu können. Weiter geht es mit dem Ermitteln des Informationsbedarfs seitens des Patienten. In der Tat haben zwischen 70 % bis 90 % der Diagnostizierten das Bedürfnis nach vollumfänglicher Aufklärung. Unsicherheit aufgrund von Unwissenheit erträgt sich oft schlechter als eine negative Diagnose. Wer weiß, wie um ihn steht und was auf ihn zukommt, kann sich darauf besser einstellen und alle Kräfte bündeln. In Kliniken sollten sich alle Mitglieder des Teams gut absprechen und stets auf dem Laufenden sein, welche Informationen der Patient bereits erhalten hat.
Schritt 4: Kenntnisse vermitteln
Nun kommt der Moment, indem Sie Ihrem Patienten vermitteln sollten, was Anlass des Gesprächs ist. Es macht wenig Sinn, den Patienten zu schützen und schlechte Aussichten schönzureden. Dennoch sollten Sie versuchen, so empathisch und ehrlich wie möglich zu sein. Vermeiden Sie allzu negativ konnotierte Begriffe wie Tumor oder Karzinom (für das Beispiel aus der Onkologie). Manche Ärzte greifen hier lieber auf Bezeichnungen wie Geschwulst oder Gewächs zurück. Sie suchen einen Gesprächseinstieg? Starten Sie mit einer Vorwarnung – Infolgedessen stellt sich der Patient automatisch auf das Folgende ein. Geben Sie anschließend die Information stückweise an den Empfänger weiter. Dem sollte eine Pause folgen.
„Wie gelähmt und als ob ich neben mir stünde“ – so beschreibt ein Patient den Moment, in welchem er erfuhr, dass sich sein Leben aufgrund einer Krankheit plötzlich schlagartig verändert. Empfänger solch schlechter Nachrichten bekommen in diesen Minuten, die sich wie Stunden anfühlen können, fast nichts mehr mit. Studien belegen, dass auch von langen und gründlich strukturierten Aufklärungsgesprächen nur Bruchstücke an Informationen hängen bleiben.
Wird sich der Patient in diesem Moment schon der eigenen Endlichkeit bewusst? Vermutlich nicht. Dennoch zieht ihm die Information sehr abrupt den Boden unter den Füßen weg. Statt der bisherigen Autonomie über sein Handeln und sein Leben sieht sich der Empfänger nun seinem Schicksal ausgeliefert. Betroffenheit ist hier nicht angebracht, Empathie hingegen essenziell – auf einer professionellen Ebene. Versuchen Sie, selbst nicht zu viel zu sprechen und vergegenwärtigen Sie sich für einen Moment Folgendes: Was bedeutet die Nachricht für den Menschen, der vor mir sitzt? Was bedeutet Sie für seine Familie oder das Berufsleben? Die Kunst ist, die Gefühle des Gegenübers zuzulassen, ohne sie selbst zu bewerten.
Fragen Sie ganz direkt nach wie viel von dem eben Gesagten beim Patienten angekommen ist. In diesem Moment holen Sie Ihren Gesprächspartner in den Moment zurück. Heben Sie die möglichen Behandlungen oder Therapien hervor. So können Sie Hoffnung vermitteln.
Schritt 5: Exploration der emotionalen Reaktion
Der Patient braucht nun Raum für seine Gefühle. Die typischen fünf Phasen, wie sie etwa bei Krebspatienten zu beobachten sind, treten in abgewandelter Form auch bei anderen schlechten Nachrichten auf: Verleugnung – Zorn – Verhandeln – Depression – Akzeptanz.
Ihre Rolle ist nun die des Beobachters. Nonverbale Signale sind wichtig. Erkennen Sie eine Emotion in Ihrem Gegenüber, sprechen Sie sie an. Anderenfalls kann es unter Umständen passieren, dass der Patient in seinen Gefühlen gefangen bleibt.
Schritt 6: Strategie und Zusammenfassung
In Schritt 6 bauen Sie gemeinsam mit dem Patienten eine Perspektive auf. Legen Sie die nächsten Schritte fest. Vermeiden Sie Prognosen, die meisten ernsthaften Erkrankungen wie Krebs sind komplex und folgen einem individuellen Verlauf. Erkundigen Sie sich, ob es Angehörige gibt, die dem Patienten zur Seite stehen und ob jemand zum Abholen kommt. „Gibt es noch etwas, dass Sie wissen möchten?“ Stellen Sie deutlich klar, dass Sie stets für Ihr Gegenüber zu erreichen sind. Mit Informationen zu Psychologen und Selbsthilfe-Initiativen können Sie ein schützendes Netz um den Patienten bauen. Ein neuer und festgelegter Termin gibt Sicherheit.
Wie erlebt der Arzt die Situation?
Scheinbar endlos belastbar werden Ärzte vor allem in Kliniken zu Allroundern: Sie sind auch bei größtem Stress achtsam und einfühlsam, meistern Behandlungen und Operationen gut und schnell und bewältigen nebenbei Berge an Schreibarbeit. In dieses Pensum passt kein intensives Aufklärungsgespräch. Sollte es aber. Es zeigt sich nämlich, dass eine empathische Aufklärung über das was ist und das was kommt, dem Arzt etwas Last von den Schultern nehmen kann. Denn er weiß: Ich kann Einfluss nehmen. Ich kann meinem Patienten trotz aller Tristesse etwas Mut und Hoffnung mit nach Hause geben.
Viele junge Ärzte unterschätzen die Bürde des Adressanten in dieser Situation. Sie fühlen sich ausweglos und überlastet oder haben Angst vor den mitunter starken Gefühlen des Empfängers. Kenne ich alle Antworten? Wie reagiere ich empathisch und doch mit gebotener Distanz? Gedanken wie diese werden abends mit nach Hause genommen. Um sich selbst mehr Sicherheit zu verschaffen, empfehlen Experten die strukturierte Vorbereitung auf das was kommt. Wen habe ich gleich vor mir sitzen? Wie ist sein/ihr emotionaler oder sozialer Background? Sollte ich kulturelle oder religiöse Hintergründe beachten? Letztendlich kann auch ein Griff in die psychologische Trickkiste hilfreich sein. Selbstreflexion als Weg zur Empathie. Was würde diese Diagnose für mich bedeuten?
Reflexion ist oft etwas, das Ärzten im Berufsleben generell fehlt. Feedback gibt es wenig oder meist nur, wenn etwas sehr schlecht lief. Daher erhalten sie auch wenig Input über die eigene Kommunikationsweise und den Gesprächsstil. Genau hier setzt Kommunikationstraining an. In kleinen und vertraulichen Gruppen wird unter professioneller Leitung und mit Schauspielern der Ernstfall geübt. Wie erfahre ich mich selbst in dem Moment? In ausführlichen Auswertungsgesprächen berichten die „Patienten“ über ihre Sichtweise und welche Bausteine des Gesprächs ihnen dabei geholfen haben (könnten) mit der Diagnose umzugehen. Seminare wie dieses können nicht nur dabei helfen zukünftig gefasster in diese Situationen zu gehen, auch bereits Erlebtes wird bestenfalls so verarbeitet. Die Belastung ist hoch – aber Ärzte können in Gesprächen wie diesen ihre Chance wahrnehmen. „Die Nachricht ist schlecht, aber ich bin für Sie da und gehe den Weg mit Ihnen.“
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